Und dennoch
waren enorm. Wie die Bundestagsprotokolle ausweisen, hat mich zum Beispiel der damalige Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler , bezichtigt, »einen Anschlag auf unsere Verfassung« verübt zu haben, was natürlich nicht der Fall war. Ganz am Rande sei noch vermerkt, dass der schließlich gewählte Bundeskanzler, Helmut Kohl, mich seit dieser meiner Rede nicht ein einziges Mal mehr gegrüßt oder zur Kenntnis genommen hat. Selbst bei der Bundespräsidentenwahl 1994, als ich als Kandidatin der FDP neben dem FDP-Vorsitzenden in der ersten Reihe der Bundesversammlung saß, hat er es nicht für nötig befunden, mir einen Gruß oder wenigstens einen Blick-Gruß zuteilwerden zu lassen – was ich nun meinerseits als »kleinkariert« empfunden habe.
Nach dem dramatischen Kanzlersturz in der zweiten Hälfte des Jahres 1982 traten etliche Abgeordnete aus der FDP-Fraktion aus, darunter Ingrid Matthäus-Maier und Günter Verheugen. Andere kandidierten nicht wieder, und die Abgabe von Parteibüchern an der Basis war enorm. Ich erhielt etwa viertausend Zuschriften, größtenteils mit dankbarer Zustimmung.
Dass die FDP bei der im März 1983 nachfolgenden Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde mit sieben Prozent übersprang, ist nachweislich nur dadurch zustandegekommen, dass offenkundig viele CDU-Wähler mit ihrer Zweitstimme den Liberalen halfen. (Die FDP hatte nur 2,8 Prozent Erststimmen und
sieben Prozent Zweitstimmen; die CDU 41 Prozent Erstimmen und »nur« 38,2 Prozent Zweitstimmen.)
Anschließend konnte die FDP die Koalition mit der CDU/ CSU, nunmehr durch Wahlen bestätigt, fortsetzen. Trotz mancher Nachbeben innerhalb der Fraktion über den Kurswechsel gelang es dem Außenminister, der nach wie vor Hans-Dietrich Genscher hieß, seine bisherige Politik unverändert fortzusetzen, was letztlich 1989 zum Fall der Mauer und zur Wiedervereinigung beitrug. Deshalb halte ich Genschers Verdienste hierfür mindestens ebenso groß wie die des Kanzlers Kohl, der ja mitsamt seiner Partei die bahnbrechende sozialliberale Ost- und Entspannungspolitik jahrelang vehement bekämpft und verunglimpft hatte.
Im Übrigen folgte die FDP der Politik des neuen Kanzlers, die eine »geistig-moralische Wende« bewirken sollte, stattdessen aber etliche Skandale mit sich brachte.
Die Freiburger Thesen wurden kaum noch erwähnt, es kamen keine Anregungen von Dahrendorf mehr, der ebenfalls die Partei verlassen hatte. Es gab keine Umweltpolitik, um die sich zuvor Gerhart Baum große Verdienste erworben hatte, desgleichen wurde der äußerst qualifizierte und integre Rechtspolitiker Burkhard Hirsch auf Jahre isoliert. Insgesamt mutierte die FDP wieder zur traditionellen, angepassten Mittelstandspartei.
Insbesondere war es die Flick-Affäre, bei der es um illegale Zuwendungen in Millionenhöhe ging (»zur besonderen Pflege der Bonner Landschaft«, wie es Flick-Repräsentant Eberhard von Brauchitsch 1984 vor Gericht aussagte), die jede wirkliche »geistig-moralische Wende« verhinderte. In den Parteispendenskandal waren außer Graf Lambsdorff auch andere FDP-Politiker involviert, außerdem prominente CDU-Politiker. Die Affäre offenbarte schlimme illegale Praktiken, was bei den Bürgern eine erste Welle an Politik(er)verdrossenheit auslöste und beträchtlichen Schaden für das Ansehen der Demokratie anrichtete.
Empörung gab es auch 1985 anlässlich der vierzigjährigen Wiederkehr des Kriegsendes, als Bundeskanzler Kohl mit dem
damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zum Zeichen der Versöhnung demonstrativ über den Soldatenfriedhof im rheinland-pfälzischen Bitburg wanderte, auf dem auch viele frühere SS-Leute begraben liegen. Ich beteiligte mich stattdessen zusammen mit jüdischen Veteranen und Organisationen an einer Demonstration, die zu den Gräbern der Widerstandskämpfer der Weißen Rose auf dem Friedhof am Perlacher Forst in München führte.
Gleichzeitig war dieser 8. Mai 1985 aber auch der Tag, an dem Richard von Weizsäcker in seiner bereits erwähnten Rede ein Bekenntnis zur Demokratie, zum Widerstand gegen den Rechtsextremismus und zur Notwendigkeit der Erinnerung an das Geschehen in der NS-Zeit ablegte.
Die FDP war und blieb nach der »Wende« hin zur CDU/ CSU angeschlagen. Trotz vieler Versuche und neuer Programme hat sie selbst nach der Wiedervereinigung kein programmatisches Profil zurückgewinnen können. Heute, in der Fünf-Parteien-Demokratie, haben sich die Grünen – wie häufig zu hören ist – als eine
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