Und dennoch
Art sozialliberale Partei etabliert.
Die FDP vor und nach der Wiedervereinigung
Die Vereinigung brachte der FDP ab 1990 zwar dank zahlreicher gebürtiger Ostdeutscher in ihren Reihen wie Wolfgang Mischnick, Hans-Dietrich Genscher oder Gerhart Baum wieder Auftrieb, der aber nur kurz anhielt; wirkliche Wurzeln konnte sie im Osten nicht schlagen. Um die Jahrtausendwende dann versuchten sich die Liberalen als Spaß- und später als Steuersenkungspartei zu profilieren, womit sie 2009 mit 14,6 Prozent den größten Wahlerfolg in ihrer Geschichte einfuhr. Dem glanzvollen Sieg folgte das Elend fast auf dem Fuße, als es mit den versprochenen Steuererleichterungen nichts wurde: Die FDP sackte in der Wählergunst bis auf drei Prozent ab und laboriert seither an der Fünf-Prozent-Schicksalsquote.
Über die Zukunft des politischen Liberalismus
Woran mangelt es der heutigen liberalen Partei? Meinem Eindruck nach fehlen ihr vor allem Persönlichkeiten, die durch Lebensleistung und innere und äußere Unabhängigkeit überzeugend und eigenständig sind. Es fehlen ihr in einer überbordend-liberalisierten Gesellschaft Positionen, die sich vom konservativen und sozialdemokratischen, oft liberalistischen Mischmasch unterscheiden und die dem ausufernden Missbrauch der Freiheit – etwa im Internet, in manchen Medien oder hinsichtlich der Übermacht skrupelloser Banken – klipp und klar eine Absage erteilen.
Und es fehlt an jenem Freimut, mit dem wir seinerzeit als junge Politiker unsere Positionen vertreten hatten, ohne Ärger im eigenen Lager zu scheuen. Wenn ich mich in diesem Zusammenhang an den Parteitag 1967 in Hannover erinnere, bei dem ich mich zum Beispiel unter Beifall, aber auch lauten Protestrufen für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze einsetzte, dann waren das noch offene liberale Auseinandersetzungen, die später reiche Früchte trugen. Heute sind Parteitage aller politischen Gruppierungen, ausgenommen die der Grünen, durchgestylte Show-Veranstaltungen, die Geschlossenheit vorführen sollen und nicht der Fortentwicklung und Klärung demokratischer Positionen dienen. Eine lebendige » democracy by discussion « findet öffentlich jedenfalls nicht statt.
Offenbar gibt es beim Parteinachwuchs der Liberalen einige hoffnungsvolle junge Frauen und Männer, aber sie vermitteln (noch) nicht jenes Profil liberaler Eigenständigkeit und Zuversicht, das die FDP braucht, wenn sie erkennbar und unverwechselbar sein will. Ein Christian Lindner allein macht noch keine neue FDP.
Die Partei des politischen Liberalismus müsste sich und ihren Standort im Fünf-Parteien-Spektrum neu begründen. Vor allem müsste sie die Partei sein, die die Defizite und Fehlentwicklungen der repräsentativen Demokratie beim Namen nennt
und zur Überwindung der Glaubwürdigkeitsdefizite beiträgt, so wie ich es im Kapitel 5 über Demokratiepolitik beschrieben habe. Damit würde sie Vertrauen zurückgewinnen.
Oft werde ich gefragt, ob ich meinen Austritt bereue und ob es in unserer liberalen Gesellschaft für eine FDP überhaupt noch eine eigenständige Existenzberechtigung gibt, abgesehen von ihrer Rolle als neoliberale Steuersenkungs- und Wirtschaftspartei beziehungsweise als Mehrheitsbeschafferin für die CDU. Die erste Frage beantworte ich mit einem klaren Nein. Mein politischer Standort ist und bleibt der einer freischaffenden Liberalen. Das heißt: Ich unterstütze Politiker und Politik gleich welcher Partei, wenn sie freiheitliche und verantwortungsbewusste Positionen durchzusetzen versuchen, so zum Beispiel Joachim Gauck anlässlich seiner überraschenden Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich in mir die Erkenntnis gefestigt, dass ich als »Parteisoldatin« ziemlich unbrauchbar bin und mich mit den Alltagszwängen, die ja nicht nur Kompromisse, sondern andauernd auch Konzessionen verlangen, schwertue. Liberal zu sein, das ist für mich heute eher eine parteiübergreifende Allianz – eine Haltung, die sich nicht in einer Parteiprogrammatik einfangen und auf Hochglanzpapier festschreiben lässt. Auch unter den FDP-Mitgliedern gibt es übrigens solche Liberale – mit denen ich mich nach wie vor verbunden fühle.
Die zweite Frage, die nach der Zukunft einer liberalen Partei in Deutschland, vermag ich nicht zu beantworten. Dazu gibt es zu viele unbekannte Herausforderungen, nicht zuletzt die langfristigen Folgen der elektronischen, digitalen und wissenschaftlichen Veränderungen sowie die drohenden
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