Und dennoch
Bundes-FDP erst, als Ralf Dahrendorf Ende der sechziger Jahre auf den Plan trat und mit vielen neuen Ideen ein klares Programm für eine moderne, liberale Partei entwarf, und als der Reformer Hans Wolfgang Rubin, damals stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, mich mit seiner schon erwähnten Initiative Stunde der Wahrheit begeisterte, die zum Auftakt unseres Engagements für eine neue Ostpolitik wurde. Desgleichen wirkten in dieser Phase der Bundesrepublik Karl Georg Pfleiderer, der als ehemaliger Diplomat die Notwendigkeit einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Jugoslawien durchsetzte, und Wolfgang Schollwer, der die Entwürfe für eine neue Ostpolitik formulierte.
Endlich wusste ich, dass ich in der richtigen Partei war, und daran änderte sich auch bis Anfang der achtziger Jahre nichts. Die Freiburger Thesen mit den vier großen Themen sozialer Liberalismus, Mitbestimmung, Umweltinitiative und Vermögensbildung wurden 1971 verabschiedet und von mir unterstützt. Nicht zuletzt war es der gerade gewählte Generalsekretär Karl-Hermann Flach, der im selben Jahr mit seiner Streitschrift Noch eine Chance für die Liberalen? den neuen Kurs nicht nur wie Dahrendorf durchdachte, sondern auch durchsetzte.
Mit den Freiburger Thesen waren die liberalen Antworten auf die großen gesellschaftspolitischen Veränderungen der siebziger Jahre überzeugend und weitsichtig formuliert. Etwas später folgten die Stuttgarter Leitlinien zur Bildungspolitik, die von einigen liberalen Mitstreitern und mir entworfen wurden, aber nie als Gesetze realisiert werden konnten. Immerhin waren sie in der öffentlichen Bildungsdiskussion jahrelang so etwas wie ein bildungspolitisches Gütesiegel der Partei.
Alles in allem hatte die FDP ihren wabernden Rechtskurs nach Freiburg durch ein klares sozialliberales Profil ersetzt. Leider sollte das nur etwa eineinhalb Jahrzehnte Bestand haben. Die Abkühlung und Entfremdung zwischen den Koalitionspartnern
SPD und FDP begann bereits Anfang der achtziger Jahre. Zum einen entsprang sie der Verschlechterung des persönlichen Verhältnisses zwischen Kanzler Helmut Schmidt und seinem Stellvertreter, Außenminister Hans-Dietrich Genscher. In dem Maße, wie ihre Meinungen voneinander abwichen, wuchs die Affinität zwischen Genscher und seinem Duzfreund Helmut Kohl, der unverblümt und mit verheißungsvollen Avancen um die FDP warb. Hinzu kam, dass Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, dem der sozialliberale Kurs ohnehin nie recht behagt hatte, in der Partei, aber auch bei den FDP-Sympathisanten in der Wirtschaft neuerlich an Ansehen gewonnen hatte. Er attackierte immer hörbarer die SPD.
Kanzlersturz und seine Folgen
Die Vorbereitungen eines Koalitionswechsels begannen im Frühjahr 1982 mit äußerster Vorsicht und Geheimhaltung. Vorausgegangen war Genschers sogenannter Wendebrief vom 20. August 1981, in dem er seine Parteimitglieder auf bestehende Konflikte mit der SPD und eine mögliche Umorientierung einstimmte. Der Brief sorgte für beträchtliche Unruhe, es schien aber zunächst alles wie bisher weiterzugehen.
In den nächsten Monaten bemühte man sich, Zweifler und Zögerer für die Notwendigkeit eines Misstrauensvotums gegen Schmidt und eine Wahl Kohls zum Kanzler zu gewinnen – und man war erfolgreich. Da ich eine ausgezeichnete Meinung von der Persönlichkeit und Kompetenz Helmut Schmidts gewonnen hatte, war ich entschlossen, auf keinen Fall einem Misstrauensvotum zuzustimmen. Daraus machte ich keinen Hehl, wie ich es dann ja auch am 1. Oktober 1982 in einer persönlichen Erklärung zum Ausdruck gebracht habe (siehe Kapitel 4 und Text im Anhang).
Für uns etwa zwanzig Dissidenten sprach Ex-Innenminister Gerhart Baum sehr überzeugend in der entscheidenden Plenarsitzung
des Bundestags am 1. Oktober. In der Nacht vor der Sitzung war mir klar geworden, dass ich mich auch zu Wort melden wollte, um meinen persönlichen Dissens mit dem Gebot des Artikels 38, Absatz 1 des Grundgesetzes zu begründen – nach dem Abgeordnete an » Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen « sind. Ein weiterer Grund war das im letzten Wahlkampf 1980 gemachte Wählerversprechen, die Koalition weitere vier Jahre fortsetzen zu wollen und diese Zusage nicht ohne Wählervotum rückgängig zu machen.
Für meine Erklärung hatte ich mir nur Notizen gemacht, und ich war mir nicht im Klaren, ob und was meine Rede unter Umständen bewirken könne. Aber der Aufruhr und die Resonanz
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