Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
Vom Netzwerk:
Kapitel der NS-Zeit. Ein Beispiel dafür ist die schon genannte, 2010 von einer unabhängigen Historikerkommission herausgebrachte Veröffentlichung Das Amt und die Vergangenheit über das Ausmaß der Beteiligung des Auswärtigen Amts bei der Judenverfolgung in den besetzten Ländern. Zu den unbehauenen Steinen gehören auch die jüngsten Forschungsergebnisse über die Beteiligung kirchlicher Einrichtungen bei der Durchführung von Euthanasiemorden an behinderten Menschen. Solche späten Enthüllungen mahnen immer von Neuem, uns der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu erinnern. Besonders jetzt, wo in puncto Erinnern
ein neuer Zeitabschnitt beginnt, in dem es keine Zeugen dieser Untaten und Gräuel mehr geben wird und die Vergangenheit damit nicht mehr gegenwärtig vermittelt werden kann, wie es zum Beispiel Eugen Kogon, Elie Wiesel oder Simon Wiesenthal vorbildlich gelungen ist. Künftige Generationen werden allein auf schriftliche Zeugnisse, Bilder und Texte angewiesen sein.
    Es ist und bleibt eine Erblast, dass unsere Demokratie nicht aus einem Freiheitskampf entstanden ist, auf den alle Bürger stolz sind und der für alle verbindlich ist, sondern auf den Trümmern einer menschenverachtenden Diktatur und aus der Erfahrung totaler Unfreiheit und Beschämung. Darin habe ich immer den besonderen Auftrag für unser demokratisches Gemeinwesen gesehen. Den Auftrag des »Nie wieder!«, den ich als einen Dauerauftrag empfunden habe und dem ich mich verpflichtet fühle, solange ich lebe.
    Dieser Auftrag hat auch die Jahre meines Vorruhestands geprägt und in Schwung gehalten. Zumeist, indem ich junge Menschen ermutigt habe, sich mit den Irrtümern und Verhängnissen der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern auseinanderzusetzen. Ich bestärkte sie darin, daraus für die eigene künftige Verantwortung Konsequenzen zu ziehen und sich an der Gestaltung eines freiheitlichen und fairen Zusammenlebens von Jugend auf zu beteiligen.
    In diesem Sinne habe ich 2010 den Münchner Bürgerpreis gegen Vergessen – für Demokratie gestiftet, der mit 50 000 Euro ausgestattet ist und einschlägige Projekte auszeichnen und ermutigen will.
    Erfahrungen weitertragen
    Zu meinen »Daueraufträgen« gehören auch weiterhin Ämter, manchmal Bürden, oftmals Würden, die mir im Laufe der Jahre zugewachsen und mit mir alt geworden sind: Meine langjährige
Mitgliedschaft im Goethe-Institut zählt dazu, mein Engagement für meine frühere Schule in Salem, die mich vor Nazi-Schikanen geschützt hat, mein Mitwirken als Jurymitglied im Ausländerbeirat für den alljährlich verliehenen Integrationspreis und bis vor kurzem die Mitarbeit im Kuratorium der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sowie eine Europäische Frauenakademie in Berlin. Weiterhin betätige ich mich im Beirat der Weiße-Rose-Stiftung e. V. , die durch Ausstellungen, Veranstaltungen und Begegnungen viel zur Entwicklung und Pflege einer Erinnerungskultur für künftige Generationen beiträgt. Das alles ist nichts Spektakuläres, aber mit diesen Dingen kann und will ich meine Erfahrungen noch ein wenig weitertragen.
    Manchmal werde ich gebeten, Schüler und Studenten bei politischen oder historischen Facharbeiten zu beraten oder mich an demokratiepolitischen Diskussionskreisen zu beteiligen. Das hält mich geistig fit und bewahrt mich vor Altersbesserwisserei. Solche Begegnungen sind oftmals ergiebiger als die zwischen Eltern und Kindern. Man könnte sie mit anderen Zeitzeugen in Clubs oder Volkshochschulen weiterentwickeln. Das Bedürfnis der Jungen, zu erfahren, was es war, das zwei Generationen vor ihnen Deutsche geprägt, begeistert oder enttäuscht hat, ist gar nicht so selten – es wird nur zu selten aufgegriffen und befriedigt. Ich selbst möchte von ihnen wissen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, mit all den welt- und europapolitischen sowie den weiteren technischen, noch unvorhersehbaren Entwicklungen, die ihre Freiheit und ihre demokratischen Lebensbedingungen verändern werden.
     
    Zum Ausblick auf meine Lebensbilanz gehört natürlich auch die Familie: zwei prächtige, nun schon über fünfzigjährige Kinder, die einzige noch lebende Schwester, mit der ich immer noch kichern kann wie in Kindertagen, zwei Lebensfreude versprühende Enkel sowie Nichten und Neffen, für die alle ich nun endlich mehr Zeit habe. Gustav Heinemann, eines meiner einstigen Vorbilder, pflegte derart erfreuliche Umstände gern als »Freundlichkeit
Gottes« zu bezeichnen, und genau so

Weitere Kostenlose Bücher