Und der Basilisk weinte (German Edition)
Tisch machen. Er bat mich um Verzeihung.»
«Haben Sie ihm verziehen?»
«Keine einfache Frage. Nein, ich denke nicht. Ich war sehr enttäuscht und habe ihn seit diesem Abend auch nicht mehr gesehen.»
«Wurde der Kontakt von Ihrer Seite abgebrochen?»
«Es war wohl gegenseitig.»
«Sie haben ein eigenartiges Moralempfinden.»
«Finden Sie, Frau Kupfer? Ich werde darüber nachdenken. Wenn mir am Himmelstor Petrus die Frage stellen würde, welcher deiner Klienten hat dich angelogen, dann könnte ich ihm spontan zwei oder drei Namen nennen. Aber niemals hätte ich an Arnold, Robert, Andreas und Philippe gedacht.»
Alice Schneeberger machte sich bemerkbar.
«Denkst du bitte daran, deine Tabletten zu nehmen, Gregor?»
«Danke, Alice. In einigen Minuten. Sobald Frau Kupfer und Herr Ferrari mit ihren Fragen fertig sind.»
Sie lächelte ihm verschmitzt zu.
«Du nimmst die Tabletten, ob du willst oder nicht, ob jetzt oder in ein paar Minuten.»
Sie schloss leise die Türe.
«Ich habe Alice gar nicht verdient. Als klar war, dass ich nicht mehr alleine zurechtkomme, habe ich eine Anzeige aufgegeben. Sie kam ohne Voranmeldung, stand einfach plötzlich da und sagte, dass sie keine Lust habe, sich lange in einem Gespräch zu bewerben. Sie legte mir ihre Zeugnisse auf den Tisch, stellte ihre Forderungen und fragte dann, was ist nun? Ich habe sie am gleichen Tag eingestellt und gebeten, bei mir einzuziehen. Wie sagte Caesar? Veni, vidi, vici. Das war knapp vor einem halben Jahr.»
«Vielleicht ein Engel, ein Geschenk des Himmels.»
Hartmann schmunzelte.
«Eine ungerechte Welt, Frau Kupfer, nicht wahr? Ein alter Gauner erhält am Ende seines Lebens Gesellschaft eines Engels, der ihn in die Hölle führen soll.»
«Oder ins Paradies, wer weiss.»
«Sie gefallen mir, Frau Kupfer. Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin auf die Palme gebracht habe. Ich konnte dem Gedankenspiel nicht widerstehen. Wie zu meinen besten Zeiten im Gericht.»
«Sie haben mich ganz schön in die Enge getrieben.»
«Eine meiner Stärken. Ich bin ein analytischer Mensch und Sprache hat mich schon immer fasziniert. Kennen Sie den Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein?»
«Es geht darum, dem Denken eine Grenze zu ziehen oder vielmehr dem Ausdruck der Gedanken, nicht eigentlich dem Denken selbst. Die Dinge können in verschiedenster Weise verbunden sein und bilden so verschiedene Sachverhalte.»
«Alle Achtung, Herr Kommissär. Und das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit. Ihre und meine. Wittgensteins philosophische Abhandlung ist einfach wunderbar.» Hartmann blickte auf seine Uhr. «Haben Sie noch weitere Fragen oder wollen wir uns der Kunst zuwenden?»
«Noch eine Frage. Wer hat Arnold Gissler umgebracht und aus welchem Grund?»
«Ich weiss es nicht. Allerdings bin ich für einmal mit Bernhard Meister einer Meinung, Herr Kommissär – die Lösung liegt in der Vergangenheit. Es hängt mit dem damaligen Prozess zusammen und ich bin sicher, weitere Morde werden folgen oder zumindest Mordversuche.»
Die Kunstsammlung von Gregor Hartmann war beachtlich. Von Jean Tinguely bis Samuel Buri gab es nichts, was fehlte. Besonders ein Gemälde hatte es Ferrari angetan, «Basel, Wettsteinbrücke», um 1930, von Irène Zurkinden. Basel, das war die Lebensmitte der Künstlerin. Von dieser Stadt gingen alle ihre Wege aus und hierher kam sie auch immer wieder zurück. Hier versorgte sie den bürgerlichen Geschmack mit sehnsüchtigen Bildern aus dem sinnlichen Paris. Hier zeichnete sie die Fähre über den Rhein, als gäbe es kein anderes Fahrzeug auf dem Fluss. Diese tiefe Liebe zu Basel spiegelte sich in ihrer Kunst und verzauberte den Kommissär. Eine ganz wunderbare Frau und eine aussergewöhnliche Malerin und Zeichnerin, da waren sich die Betrachter einig. Hartmann betonte, dass der Wert der Sammlung nicht gross sei, da es sich nur um Basler Künstler handle. Er habe nie auf die Bedeutung der Sammlung geachtet, sondern immer nur jene Kunst gekauft, die ihm gefiel. Dass das eine oder andere Bild inzwischen einen beachtlichen Wert habe, sei für ihn Nebensache. Ferrari lag es auf den Lippen, zu fragen, wer denn das alles erbe? Aber aus Pietätsgründen hütete er sich davor, diese Frage zu stellen. Der Kommissär wusste, dass Hartmann keine Nachkommen hatte. Alice Schneeberger schied ebenfalls aus, wie er eingangs erklärt hatte. Wer also war als Erbe eingesetzt?
An der Tramhaltestelle hoffte Ferrari
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