Und der Basilisk weinte (German Edition)
getrunken, wollten noch im ‹Rollerhof› abhängen, als Philippe auf die Idee kam, spasseshalber Leute anzupöbeln. Vom Münsterplatz kam uns ein gleichaltriger Junge entgegen. Auf der Höhe des Brunnens stellte sich Arnold ihm in den Weg. Als der Junge auswich, gab er ihm einen Stoss und schrie, die Drecksau hat mich angerempelt. Daraufhin hielten ihn Robert und Philippe fest und ich schlug ihm ins Gesicht. Er verteidigte sich nicht einmal …» Richter schüttelte den Kopf. «Wir drückten ihn auf den Boden und … und … plötzlich bewegte er sich nicht mehr. Philippe schrie, weg hier, wir haben ihn getötet! Wie vom Teufel gejagt rannten wir den Rheinsprung hinunter. Danach hatte ich einen kurzen Filmriss. Ich erinnere mich erst wieder daran, dass wir beim Tinguely-Brunnen sassen und Philippe auf uns einredete, wir seien nie in der Augustinergasse gewesen. Wir schworen keinem etwas zu erzählen und legten uns einen Plan zurecht, wo wir den Abend verbracht hatten. Aber jemand muss uns beobachtet haben. Drei Tage später wurde zuerst Robert, dann wir anderen verhaftet.»
«Die Verkäuferin eines Musikgeschäfts am Rümelinsplatz hatte Robert Selm erkannt. Sie sass mit ihrem Freund auf den Stufen des Elftausendjungfern-Gässlein, als ihr in Panik den Rheinsprung runter ranntet. Selm war anscheinend Kunde bei ihr. Bei seinem nächsten CD-Kauf rief sie die Polizei an, denn sie hatte den Zeugenaufruf gesehen.»
«So war das also.»
«Selm bestritt natürlich die Tat, verwickelte sich in Widersprüche und gab schliesslich an, dass er an dem Abend mit euch zusammen war. Deshalb seid ihr alle verhört worden. Die Verkäuferin zog später ihre Aussage zurück. Sie war plötzlich nicht mehr sicher, ob sie Robert Selm wirklich erkannt hatte.»
«Dank Philippe Stählis Vater.»
«Ein abgekartetes Spiel.»
«Es lief alles für uns. Stähli im Hinter-, Streck und Hartmann im Vordergrund, ein optimales Team. Es war ein Leichtes, uns freizubekommen. Nur eines konnten die drei nicht bewirken …»
«Und das ist?»
«Das eigene Gewissen ausschalten. Wir sind keine Mörder, Frau Kupfer. Keiner von uns. Wir haben im jugendlichen Leichtsinn eine unverzeihliche Tat begangen. Glauben Sie mir, jeder von uns hätte das Rad der Zeit zurückgedreht, hätte das Geschehene ungeschehen gemacht … Wir haben alle seither bitter gebüsst. Jeder auf seine Art.»
«Hatten Sie denn noch Kontakt zu den anderen?»
«Ich versuchte mehrmals, ein Treffen zu organisieren. Dachte, wir könnten uns stärken. Aber sie wollten nicht. Arnold Gissler lebte ein einsames enthaltsames Leben. Robert, mit ihm telefonierte ich ab und zu, versteckte sich hinter seinen Computern, er verdiente Millionen an der Börse.»
«Er versteuerte aber nur, wenn man von nur sprechen kann, dreihundertfünfzigtausend Franken.»
«Mag sein, dass er ein solches Netto-Einkommen versteuerte. Doch er hat Jahr für Jahr Millionen für karitative Zwecke ausgegeben. Ich weiss, wovon ich spreche. Er fragte mich jedes Mal an, welche Stiftung in Not sei. Und genau diese erhielt dann einen grossen Betrag.»
«Er besass auch ein kleines Immobilienimperium.»
«Das stimmt. Pro Jahr kaufte er eine oder zwei Immobilien. Jetzt nach seinem Tod werden diese Häuser in den Besitz unserer Stiftung übergehen. Das war seine Art, mit der Vergangenheit umzugehen. Philippe Stähli wiederum ist ein fantastischer Arzt geworden, dessen einziges Anliegen es ist, seine Patientinnen zu heilen. Als ob wir mit all unseren Bemühungen Beat Fahrner wieder zum Leben erwecken könnten …»
«Und Sie?»
«Ich? Ich setze mich zusammen mit meiner Frau für alte Menschen ein. Es gibt immer noch viele ältere Personen, die nur von der AHV leben, weil sie über keine Pensionskasse oder Lebensversicherung verfügen. Viele am Rande des Existenzminimums. Für diese Menschen setze ich mich seit Jahren ein und verhelfe ihnen zu ihrem Recht. Einige wollen auch bewusst keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen, eine Frage des Stolzes.»
«Hat Ihre Stiftung auch Geld von Robert Selm erhalten?»
«Indirekt. In den meisten seiner Wohnungen leben alte Menschen, die nur einen symbolischen Mietzins bezahlen.»
«Das hat mir Herr Kuster von der IRG-Immobilien Treuhand AG gar nicht erzählt», entfuhr es Nadine, die sich über sich selbst ärgerte. Sie hatte weder nach den Mieten gefragt, was nicht unbedingt auf der Hand lag, noch hatte sie sich Selms Steuererklärung angesehen. Das hingegen war ein Anfängerfehler. Wie
Weitere Kostenlose Bücher