Und der Basilisk weinte (German Edition)
auf Ihre Beförderung an. Prost!»
Ferrari erzählte von Monika und Nicole, von seinem Beruf und seinen Visionen. Iris Okaz taute langsam auf, stellte ab und zu eine Frage und begann während des Hauptgangs von sich zu erzählen.
«Es war nicht immer leicht als Kurdin. In der Schule wurde ich praktisch von allen geschnitten. Mit der Zeit ging es dann besser. Nicht meine Kameraden waren das Problem, sondern deren Eltern. Ich durfte nie zu ihnen nach Hause.»
«Meistens sind die Eltern das Übel.»
«Stimmt. Nach der Schulzeit bekam ich meine Chance und habe sie genutzt. Lehre, Auslandaufenthalt, Festanstellung im ‹Central›. Meine Arbeit bedeutet mir sehr sehr viel. Es lief alles so gut. Vielleicht zu gut. Die Entlassung hat mich wie ein Schlag getroffen, ich stand plötzlich vor dem Nichts. Zum Glück ist dieser Alptraum vorbei. Seltsam, obwohl wir uns erst seit einigen Tagen kennen, sind Sie bereits gute Freunde geworden. Dafür danke ich Ihnen.»
Ferrari merkte, dass er errötete.
«Keine Komplimente! Sonst werde ich noch ganz verlegen.»
«Ich wollte Ihnen noch etwas sagen. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich Ihnen helfen könnte. Es gibt da etwas. Vielleicht ist es wichtig.»
«Und das wäre?»
«Vor einigen Wochen hatte Robert Besuch von einem Mann. Es ist wahrscheinlich ein älterer Mann gewesen, Nadine.»
«Wie alt?»
«Das kann ich nicht sagen. Ich habe ihn nur von hinten gesehen. Er stand vor Roberts Tür, als ich vom Einkaufen zurückkam. Etwa so gross wie Sie, Herr Ferrari.»
«Wie kommen Sie darauf, dass es ein älterer Mann gewesen ist?»
«Ich …»
«Keine Sorge Frau Okaz, wir behandeln dieses Gespräch vertraulich.»
«Es war das erste Mal, dass Robert Besuch bekam. Ich habe durch den Türspion geschaut. Aus reiner Neugier. Ich wollte wissen, wer ihn besucht. Sie haben sich aber ziemlich lange unterhalten. Da habe ich die Geduld verloren. Als er dann ging, habe ich meinen Einsatz verpasst. Ich hörte nur noch, wie die Tür zuschlug», sie kicherte wie ein kleines Mädchen. «Dann bin ich zum Fenster gerannt und habe rausgeschaut. Roberts Besucher ging wie ein alter Mann die Strasse entlang. Nicht irgendwie gebückt, eher langsam. Eben halt so, wie sich alte Menschen bewegen. Hilft Ihnen das?»
«Im Augenblick sind wir für jeden Strohhalm dankbar, an den wir uns klammern können. Haben Sie ihn mehrmals gesehen?»
«Nur einmal. Ich habe Robert später darauf angesprochen. Er winkte ab, meinte nur das sei seine Vergangenheit gewesen.»
«Hm. Jemand aus seiner Vergangenheit hat ihn aufgesucht. Jemand, über den er nicht sprechen wollte. Wer könnte das gewesen sein?»
«Ein ehemaliger Gegenspieler!»
Iris Okaz sah Nadine und den Kommissär verständnislos an. Das Essen war hervorragend. Nur auf die Predigt von Vittorio, der ihm bei jedem Gang zu verstehen gab, dass er seine nächtlichen Eskapaden zutiefst missbillige, hätte Ferrari verzichten können. Ganz im Gegensatz zu Nadine, die es sichtlich genoss.
20. Kapitel
Was hatte Robert Selm mit der Bemerkung über seine Vergangenheit gemeint? Eine familiäre Bindung? Eine alte Freundschaft? Möglich. Ferrari wurde jedoch den Verdacht nicht los, dass der Besuch beim Ermordeten negative Gefühle ausgelöst hatte. War es ein ehemaliger Gegenspieler gewesen? Etwa Bernhard Meister? Auf ihn würde die rudimentäre Beschreibung passen. Älterer Herr besucht auserwähltes Opfer, um die Möglichkeiten zu sondieren, oder, und dieser Gedanke liess den Kommissär erschaudern, um den nahen Tod anzukünden. Aber noch immer weigerte sich Ferrari, seinen Vorgänger als Mörder in Betracht zu ziehen. Andererseits spukte der Film «Ein Richter sieht rot» in seinem Gedächtnis. Bernhard Meister, der Rächer im Namen der Gerechtigkeit, das konnte er sich hingegen gut vorstellen. Vielleicht war es ein innerer Drang, ein unbändiger Zwang, das Urteil eines seiner wenigen verlorenen Fälle im Nachhinein zu korrigieren. Eben, der vermeintlichen Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, die von den anderen so sträflich mit Füssen getreten worden war. Allen voran von Staatsanwalt Streck, zu dem Bernhard Meister ein Leben lang aufgesehen hatte. Ferrari blickte aus dem Fenster in den leeren Hof des Kommissariats hinunter. Wenn es hart auf hart kommt, wenn Meister tatsächlich der Mörder war, wie würde ich reagieren? Ihn pflichtbewusst verhaften oder versuchen, den Fall als ungelöst zu den Akten zu legen? Es wäre nicht der erste und auch nicht der letzte.
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