und der Herr der Loewen
sind nicht mehr jung. Weinen Sie und ruhen Sie sich aus. Legen Sie sich in ein Bett und schlafen Sie, und dann fliegen Sie heim, ja?«
Erschrocken blickte sie ihn an. »Heimfliegen? O nein, ich konnte nur nicht mehr klar denken.« Mit schwachem Lächeln fügte sie hinzu: »Wie könnte ich heimfliegen, wenn ich mir doch eben erst ein Fahrrad gekauft habe?«
Er nickte und stand auf. »Ich werde jetzt den Sattel für Sie niedriger machen.«
Sie folgte in seinem Schatten, und als er nach vollendeter Arbeit sein Werkzeug weglegte, zählte sie einhundert Gwar auf seinen riesigen Handteller. »Ich bin Emily Pollifax«, sagte sie,
»aber Sie haben mir Ihren Familiennamen noch nicht genannt.«
»Nur Moses.«
Er vertraute also niemandem auch nur seinen Familiennamen an. Sie respektierte es und wollte eben auf ihr Fahrrad steigen, als er fragte: »Fühlen Sie sich auch kräftig genug zurückzufahren?«
Sie nickte. »Ich bin mir nicht sicher, daß ich es zu Fuß schaffen würde, aber mit dem Rad, ja.«
Er kniff die Augen zusammen. »Fühlen Sie sich nicht allzu frei, wohin Sie fahren. Seien Sie wachsam!«
»Wachsam?«
Er musterte sie nachdenklich. »Es wäre weise. Wo imfa jetzt zitatu imfa, passieren konnte, gibt es kein Erbarmen.« Er ging zum Tor, öffnete es und wartete, daß sie hindurchging. Sie hätte ihn gern gefragt, was er mit »kein Erbarmen« meinte und was die Worte imfa und zitatu bedeuteten, aber sein Gesicht wirkte wieder völlig verschlossen und abweisend. Die Sonne fiel auf seine Backenknochen und färbten die Narbe brennend rot. So schob sie stumm das Fahrrad an ihm vorbei auf die Straße, doch dann drehte sie sich noch einmal um und sagte:
»Ich hoffe, ich sehe Sie wieder, Moses.«
Das Tor war bereits halb geschlossen, als er abrupt seine Warnung wiederholte: »Seien Sie wachsam.« Und dann, fast heftig: »Es gibt keine Löwen in Ubangiba!«
Was soll das? fragte sie sich. Schließlich ist allgemein bekannt, daß es in Ubangiba keine Löwen gibt. Sie winkte noch einmal zurück, stieg auf und radelte rasch den Boulevard hinunter; zwar mangelte es ihr immer noch an Übung, aber sie nahm an, daß es ihr mit zunehmender Geschwindigkeit leichter fallen würde, das Gleichgewicht zu halten. Mit heftigem Klingeln gelang es ihr, sich einen Weg durch all die anderen Radfahrer zu bahnen, ohne deren Schreckensschreie auch nur zu bemerken. Unversehrt gelangte sie zum Palast zurück und gab ihrem Schlafbedürfnis nach, bis Kadi sie um siebzehn Uhr zum Abendessen weckte.
3
Zu fünft saßen sie beim frühen Abendessen in einem Zelt, das zu diesem Zweck im Garten hinter der Hospitalküche aufgebaut war. Joseph war dabei, sowie ein Dr. Merrick, der sich, als er ihnen die Hand gab, lächelnd als »Weißer Medizinmann« vorgestellt hatte. Es war offenkundig, daß es nicht in Sammats Absicht lag, über den Toten von heute mittag zu sprechen, auch nicht von anderen Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Die Unterhaltung bestand hauptsächlich aus Fachsimpeleien - Vorräte, die fürs Krankenhaus besorgt werden mußten, Sandflöhe, Fruchtfolge -, was Mrs. Pollifax eher wenig interessierte.
Sie fragte sich, ob Sammat inzwischen bedauerte, daß sie und Kadi hierhergekommen waren, und ihr wurde bewußt, wie wenig Hilfe sie ihm bieten konnten. Oder ob er sich ganz einfach wenigstens eine Stunde lang von seinen Sorgen ablenken wollte? Insgeheim war sie auch immer noch verlegen, weil sie in Moses' Fahrradgeschäft in Ohnmacht gefallen war. Wie sollte sie von Hilfe sein können, wenn sie noch öfter einfach umkippte und man sich ihrer annehmen mußte?
Ihr bescheidenes Abendessen bestand aus süßen Kartoffeln, hartgekochten Eiern,
gedünstetem Hühnchen mit Soße und etwas, das ein Brotkloß sein mochte. Als sie zu essen begonnen hatten, war der Himmel noch eine Farbsinfonie, doch inzwischen umgab sie bereits die Dunkelheit. Kaum war die Sonne um achtzehn Uhr untergegangen, war es empfindlich kalt geworden und sie fror um die Schultern und an den Fußgelenken. Die zwei Kerzen am Tisch waren schon fast heruntergebrannt und ihr flackernder Schein erhellte und verdunkelte abwechselnd ihre Gesichter. Mrs. Pollifax, die heimlich Joseph und Dr. Merrick beobachtete, gewann die Überzeugung, daß Joseph den Arzt nicht mochte. Eifersucht, vielleicht, schloß sie. Joseph, der ihnen im April allen das Leben gerettet hatte, wachte wahrscheinlich in besitzergreifender Weise über seinen Mfumo, der ihn vom Palastlakaien zum
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