Und der Herr sei ihnen gnädig
kurzes, stumpf geschnittenes graues Haar, das ein ovales Gesicht und graugrüne Augen umrahmte. Ihre Züge waren ebenmäßig, und früher war sie bestimmt recht hübsch gewesen, obwohl sie in ihrem schwarzen Kostüm und der frischen weißen Bluse noch immer gut aussah. »Ja?«
»Dürfte ich für fünf Minuten hineinkommen?« »Worum geht es überhaupt?«
»Ich werde Ihnen alles erklären, aber es ist besser, wir unterhalten uns drinnen.« Widerwillig ließ sie mich eintreten. Das Wohnzimmer war klein, aber schön renoviert - dunkle Holzbalken an der Decke, ein gefliester Fußboden, beigefarbene Wände mit Stuckverzierung und viele dekorative Nischen. Die braune Ledercouch wurde von zwei passenden Sesseln flankiert, der Couchtisch war aus schwerem dunklem Holz. In der Ecke stand ein Klavier. Als ich auf einem Ständer ein Notenblatt entdeckte, fragte ich sie, wer darauf spielte.
»Meine Schwester«, antwortete sie. »Worum geht es bitte?«
»Vielen Dank für Ihre Geduld. Darf ich mich setzen?«
»Natürlich.«
Ich ließ mich in einem der Ledersessel nieder. Sie setzte sich auf die Couch. »Ein Fall, an dem ich gerade arbeite, hat mich an die Schule Ihrer Schwester geführt - das Fordham Communal Center... «
»Ja, ja. Was hat es damit auf sich?«
»Wie ich höre, fühlt sich Sarah zurzeit nicht so gut. Wie geht es ihr?«
Die Frau sah mich verblüfft an. »Deswegen sind Sie hier?« »Geht es Sarah gut?«
»Ehrlich gesagt, nein. Sie hat im Moment gesundheitliche Probleme. Ich habe schon überlegt, ob ich mit ihr zum Arzt gehen soll.«
»Ich glaube, das wäre eine gute Idee.«
»Warum?« Nun wirkte sie beunruhigt. »Was fehlt ihr?«
»Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, ob ihr etwas fehlt. Lassen Sie mich erzählen, warum ich hier bin, und entscheiden Sie dann selbst. Vor einigen Tagen hat die Polizei in einem Müllcontainer hinter einem Restaurant ein neugeborenes Baby gefunden. Vielleicht haben Sie in der Zeitung davon gelesen.«
»Ich habe es in den Nachrichten gesehen.«
»Ich war diejenige, die die Kleine herausgezogen hat. Das Ganze war ziemlich beängstigend, aber ich kann glücklicherweise berichten, dass es dem Baby gut geht.« »Das ist schön.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Können wir bitte zum Punkt kommen?«
»Ich habe mich bloß gefragt, ob... na ja, ob Sarah in den letzten Tagen ein wenig abgenommen hat.«
Die Frau riss erschrocken die Augen auf. »Was?« Sie sprang auf und schrie: »Sarah! Komm sofort-«
»Nein, warten Sie! Ich berührte sie sanft am Arm. Bevor wir Sarah dazuholen, sollten wir erst in Ruhe über die Sache reden.«
Sie begann aufgeregt hin und her zu laufen. »Ich glaube es einfach nicht! Ständig ist irgendwas, ein Problem nach dem anderen! Dabei möchte ich nichts als ein bisschen Frieden und Ruhe, aber...« Sie ließ sich wieder aufs Sofa fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Mit heiserer Stimme fügte sie hinzu: »Ich bin einfach so... müde!« »Vielleicht steckt ja gar nichts dahinter.«
»Es steckt immer irgendwas dahinter. Immer! Sie hatte starke Blutungen. Ich habe es nur für eine besonders heftige Periode gehalten. An eine Schwangerschaft habe ich im Traum nicht gedacht!« Sie begann wieder auf und ab zu gehen. »Hat sie sich strafbar gemacht?«
»Offensichtlich liegen hier ja besondere Umstände vor.«
»Das wird die Hölle, das weiß ich jetzt schon! Ich werde einen Anwalt brauchen! Ich werde vor Gericht erscheinen müssen! Und ich werde wie eine Vollidiotin dastehen. Wie konnte ich bloß so blind sein!«
»Sie ist ein korpulentes Mädchen. Da ist das doch verständlich. Am wichtigsten scheint mir, sie jetzt medizinisch zu versorgen. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich hier bin. Ich möchte ihr nicht schaden, sondern helfen.«
Sie blieb stehen und schlug eine Hand vor den Mund. Nach einer Weile ließ sie sie wieder sinken. »Natürlich. Sie sind sehr verständnisvoll.«
»Gemeinsam schaffen Sie beide das schon.«
Sie sah mich an. »Dem Baby geht es gut?«
»Die Kleine ist unglaublich süß, ein richtiger Wonneproppen.«
Auf ihrem verzweifelten Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Gott sei Dank!«
»Ms. Sanders... haben Sie gewusst, dass Sarah -«
»Ich hatte keine Ahnung! Sie hat nie einen Jungen erwähnt... zumindest keinen bestimmten. Ansonsten redet sie natürlich über Jungs. Aber sie nimmt doch eigentlich die Pille.«
»Mit der Empfängnisverhütung kann immer mal was schief gehen.«
»Vor allem, wenn man die Pille
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