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Und der Herr sei ihnen gnädig

Und der Herr sei ihnen gnädig

Titel: Und der Herr sei ihnen gnädig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Straße. Sie war in einen dicken schwarzen Mantel gehüllt, hielt eine Tasche an die Brust gepresst. Und ging sehr gebeugt.
    Mein Interesse war erwacht. Ich warf einen Blick auf die Uhr: drei Uhr morgens.
    »So ein armes Ding«, flüsterte Koby. »Können wir sie nicht in irgendein Obdachlosenheim bringen?«
    »Ich weiß nicht, ob das eine Obdachlose ist«, antwortete ich. »Sie hat weder einen Einkaufswagen noch Plastiktüten dabei... nur diese kleine Tasche. Außerdem trägt sie Seidenstrümpfe, und ihre Knöchel sehen in dem Licht ganz normal aus.« »Ihre Knöchel?«
    »Die meisten der obdachlosen Frauen haben schreckliche Knöchel, weil sie ständig mit Schuhen herumlaufen, die ihnen nicht richtig passen. Außerdem sind viele in schlechter gesundheitlicher Verfassung.«
    »Vielleicht eine Prostituierte?«
    »Keine, die ich kenne. Für mich sieht es eher so aus, als hätte ihr Freund sie nach einem Streit aus dem Wagen geworfen. Sieh dir an, wie gebeugt sie geht.«
    »Dann können wir sie vielleicht nach Hause bringen. Es ist gefährlich so spät hier draußen.«
    Bevor ich zustimmen konnte, spielte sich vor unseren Augen wie im Zeitlupentempo eine schreckliche Szene ab. Ein Jeep Cherokee SUV schoss trotz der roten Ampel über die Kreuzung und raste in die Frau, die noch fünf Meter vom Gehsteig entfernt war. Während ihr Körper durch die Luft flog, überquerte ein Dodge Caravan Minivan die Kreuzung, wurde von dem Jeep voll in die Seite gerammt und aufs Dach geworfen. Als die Frau wieder auf dem Boden landete, wurde sie von dem Minivan erfasst, der auf dem Dach dahinschlitterte, bis er mit voller Wucht und einem ohrenbetäubenden Krachen gegen einen Elektrizitätsmasten knallte. Die Frau war quer über den ganzen Boulevard geschleudert worden und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Asphalt aufgekommen. Der Jeep bog auf zwei quietschenden Reifen um die Kurve und raste davon.
    »Mist!«, schrie Koby. Er riss das Handschuhfach auf, zog ein Paar Latexhandschuhe heraus und streifte sie sich über. Ich hatte noch nicht mal meinen Sicherheitsgurt gelöst, als er schon losrannte. »Nicht bewegen, nicht bewegen, nicht bewegen!«, rief er den Leuten in dem schwer ramponierten Minivan zu, während er zu der reglos daliegenden Frau lief.
    Ich stürmte ebenfalls aus dem Wagen, ein Handy in meiner zitternden Hand.
    »Lauf zu dem Wagen rüber und sag ihnen, dass sie sich nicht bewegen sollen!«, befahl mir Koby. Er beugte sich gerade über die Fußgängerin, versuchte an ihrem Hals ihren Puls zu fühlen. Das Gesicht der Frau war nur noch Brei, der Körper so schlaff wie eine Lumpenpuppe. Ich schluckte die Galle hinunter, die mir bei ihrem Anblick hochgekommen war, und wählte die 911, während ich auf den qualmenden Haufen aus verbogenem Blech und wirren Drähten starrte, der nach ausgelaufenem Benzin und Öl und nach dem metallischen Gestank verbrannten Fleisches roch. Drinnen waren die Airbags aufgegangen, aber ich sah trotzdem so viel Blut, dass ich von dem grauenhaften Anblick fast ohnmächtig wurde. Als sich an meinem Ohr eine männliche Stimme meldete, war ich selbst erstaunt, in welch ruhigem Ton ich die Unfallstelle durchgab und einen Krankenwagen sowie die Feuerwehr anforderte.
    Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, starrte ich mit offenem Mund auf die Bescherung im Inneren des Wagens. Ich war nicht sicher, was ich als Nächstes tun sollte. Ich wiederholte nur immer wieder, dass sich die Leute nicht bewegen sollten, und hoffte, dass man die Panik in meiner Stimme nicht hörte. Als Koby schließlich neben mir auftauchte, war ich erleichtert. Er machte sich sofort an die Arbeit. Mit ruhiger Stimme bat er die Insassen - zwei Männer, zwei Frauen, mehrere Kinder und ein lebloses Baby -, sich nicht zu bewegen, während er das Ausmaß des Schadens abzuschätzen versuchte. Aus dem Arm einer der Frauen quoll eine Menge Blut. Koby riss sich das Hemd vom Leib und band damit die verletzte Arterie ab. Obwohl es eine kalte Nacht war, schwitzte er. »Hast du die 911 angerufen?«, fragte er mich keuchend. »Ja.«
    »Ich hab einen Erste-Hilfe-Kasten und eine Decke im Kofferraum.«
    »Bin schon unterwegs.« Mit klackenden Absätzen rannte ich zum Wagen zurück und holte die Sachen aus dem Kofferraum. Zusätzlich nahm ich eine Taschenlampe mit. Im Handschuhfach fand ich ein zweites Paar Gummihandschuhe. Nachdem ich sie mir übergestreift hatte, rannte ich zurück zur Unfallstelle, reichte Koby die Sachen und leuchtete dann mit der

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