und der tanzende Derwisch
holte
eine Zweidirhammünze heraus, dann lächelte sie dem kleinen
Jungen zu, drückte einen Finger an die Lippen und legte
verschwörerisch die Münze auf die Mauer neben sich. Während
sie Max entgegenging, rannte der Junge hinter ihr herbei und
griff nach der Münze. Als sie über die Schulter blickte, sah sie,
daß er nicht davongelaufen war. Er lächelte sie strahlend an, als
hätten sie gemeinsam den Verkäufer überlistet und wären
Verschworene. Dann hob er zwei Finger an die Lippen und blies
ihr einen Kuß zu. Erfreut blies sie ihm einen Kuß zurück. »Mit wem flirten Sie denn da?« erkundigte sich Max
amüsiert.
Sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Fangen wir an? Ich
sehe da gleich sechs Gassen, die wir uns vornehmen sollten.« »Glücklicherweise mit Straßenschildern«, entgegnete er. Er
faßte sie am Arm, führte sie an einem Stand mit Orangen vorbei
zur nächsten Gasse, deren Schild mit seinen Bogen und
Schnörkeln der arabischen Schrift in seiner Anmut fast wie
Musik anmutete.
»Assammarin«, las Max. »Das heißt Straße der Hufschmiede.
Suchen wir weiter.«
Als nächstes kam die Straße der Seidengarnverkäufer, und
nachdem sie sie mit Blicken abgesucht hatten, schlenderten sie
zum nächsten Eingang einer Gasse mit Kopfsteinpflaster. »Al-hajjamin«, las er. »Hurra! Wir haben die Straße der
Barbiere gefunden!«
Nervös fragte Mrs. Pollifax: »Bedeutet das, daß wir uns hier
Dutzende von Friseuren ansehen müssen?« Er grinste.
»Vielleicht waren vor fünfzig Jahren so viele hier, doch jetzt
sicher nicht mehr. Würden Sie mir bitte unseren Mann
beschreiben, ehe wir weitergehen?« Sie blieb stehen und schloß
die Augen, um sich zu konzentrieren. »Jünger als Omar, etwa
dreißig bis zweiunddreißig. Kurzer dunk ler Bart, bleiches ovales
Gesicht. Klein und mager. Auf dem Bild trug er eine
abgetragene gestreifte Dschellabah. Er sah sehr leidenschaftlich
aus - und sehr arm.«
Max nickte. »Ja, das ist zu erwarten. Ich bin zwar
hauptsächlich Übersetzer und Entschlüsseler, aber der Maghreb
ist meine Spezialität und ...«
»Maghreb?«
»Marokko, Algerien und Tunesien... Jedenfalls weiß ich, daß
ein Friseur in diesem Land zu den untersten
Gesellschaftsschichten gehört - gerade noch geduldet, sozusagen
- und doch genießt er trotz seines Standes eine gewisse
Beliebtheit, weil man von ihm allerlei Neuigkeiten und Gerüchte
erfahren kann. In einem Friseurladen unterhalten sich die Leute
und hören zu.«
»Perfekt für einen Informanten. Es gibt hier also ein
Kastensystem?«
»Nicht wirklich«, antwortete Max. »Es ist ein Land der
Stämme, und die alten Sitten sind hartnäckig. Hier zählt, von
welchem Stamm man kommt und ob man mit irgendwelchen
Heiligen verwandt ist oder von Mohammeds Vetter Ali
abstammt. Selbst die Ärmsten der Armen werden mit größter
Hochachtung behandelt, wenn sie von solcher Abstammung
sind.«
Sie kamen an einem Laden vorbei, in dem Ledertaschen
ausgestellt waren, und ein Mann, der Leder zuschnitt, hinter
dem Ladentisch stand; an einem Geschäft, in dem zwei Männer an Nähmaschinen saßen, und an einem schmalen Souk, in dem man Pantoffel in Regenbogenfarben mit spitzen, nach oben gerollten Zehen erstehen konnte. »Barouches«, bemerkte Max. Als sie sich dem Ende der Gasse näherten, lag vielversprechender Sonnenschein und freier Raum vor ihnen. An der Ecke fanden sie ein Schild mit Scherenumrissen und
arabischer Schrift darunter.
»Daumen halten!« murmelte Max.
Das Glas von Fenster und Tür dieses Ladens war staubig, und
sie blieben stehen, um hindurchzuspähen. Die Barbierstube war
sehr klein, aber sauber und hell, was Mrs. Pollifax gefiel. Ein
einzelner Stuhl, herrlich alt und verschnörkelt, stand mitten im
Raum, der Sitz war mit rotem Plüsch überzogen und ruhte auf
einem kunstvoll geschmiedeten Eisengestell, das so herrlich
verschnörkelt war, daß es Mrs. Pollifax an viktorianisches
Ingwerbrot erinnerte. Sie fand, daß es ein wunderschöner alter
Barbierstuhl war, um den sich Antiquitätenhändler gerissen
hätten. Ein Spiegel, der von Alter und Moderflecken fast blind
war, teilte sich die Wand mit einem Bild von Mohammed V.
und dem derzeitigen König. Für wartende Kunden gab es eine
einfache Bank. Momentan saß ein Kunde auf dem herrlichen
Stuhl, der Friseur selbst jedoch hatte dem Fenster den Rücken
zugewandt.
»Die Spannung wächst«, murmelt e Mrs. Pollifax, doch in
diesem Augenblick drehte sich der Mann um, und sie seufzte
erleichtert. »Noch ein
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