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und der verschwiegene Verdacht

und der verschwiegene Verdacht

Titel: und der verschwiegene Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Morris, dem einzigen weiteren Wagen auf dem Parkplatz. Dann nahm sie den ausgedruckten Rei-seplan aus ihrer Umhängetasche und machte sorgfältig ein X neben die erste Position. Ehe sie aus-stieg, hielt sie einen Augenblick inne, um ihre Umgebung zu genießen.

    Die Araukarien waren noch genau so, wie Emma sie in Erinnerung hatte; mit ihren dornigen, ver-drehten Ästen wirkten sie auf bizarre Weise großartig. Die Rabatten mit den Schachbrettblumen waren indes neu, und sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihr gefielen. Die stacheligen Kapseln erschienen ihr etwas zu theatralisch für diese Umgebung, und ihr Orangeton biss sich mit den but-tergelben steinernen Torpfeilern. Wenn sie hier Gärtnerin gewesen wäre …
    »Alles in Ordnung, Ma’am?«
    Emma fuhr zusammen. Ein paar Meter von ihrem Auto entfernt stand ein junger Mann; etwas vorge-beugt schaute er sie an, in der Hand eine kleine erdverkrustete Schaufel.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein, Ma’am?« Er trug ein hellbraunes Hemd und enge Jeans, sein kasta-nienbraunes Haar glänzte in der Sonne wie ein Kup-ferpfennig. Er war nicht älter als zwanzig, braunäugig, sommersprossig und muskulös, und in seiner Stimme schwang der höfliche Unterton, in dem ein gut erzogener junger Mann mit älteren oder gebrech-lichen Menschen redete. Vor allem dieses wiederholte »Ma’am« ging Emma auf die Nerven. Genauso gut könnte er mich »Oma« nennen, dachte sie.
    »Haben Sie sich verfahren, Ma’am?«, fragte er.
    »Nein, danke«, sagte Emma. »Ich weiß ganz genau, wo ich bin.«

    »Na gut«, sagte der junge Mann. »Ich hoffe, dass Ihnen Ihr Besuch hier gefällt, Ma’am.« Mit höfli-chem Lächeln ging er an Emmas Auto vorbei und verschwand durch das Tor. Emma beobachtete, wie sich seine schmalen Hüften beim Gehen wiegten, und das Selbstmitleid übermannte sie. Wäre es wirklich moralisch verwerflich gewesen, fragte sie sich trübsinnig, wenn sie das unscheinbare Dunkel-blond etwas freundlicher, heller getönt hätte?
    Sie betrachtete sich im Rückspiegel und zog Bi-lanz. War ihre Nase nicht eine Spur zu lang, ihr Kinn nicht ein wenig zu stark, als dass man sie schön nennen konnte? Hatte sie zu viele Stunden ohne Sonnenschutz im Garten verbracht, sodass sich Falten in ihre Stirn gegraben hatten, ebenso wie Krähenfüße um ihre klaren grauen Augen? War ihre Nickelbrille nicht allzu langweilig und altmodisch? War sie nicht selbst vielleicht langweilig und altmodisch?
    Wir können nicht alle Märchenprinzessinnen sein, dachte sie niedergeschlagen. Außerdem wollen wir das gar nicht! Während ihr Selbstmitleid in Wut umschlug, schloss Emma die Augen, holte tief Luft und flüchtete sich in den Galgenhumor. »Also los, Oma«, sagte sie und sah auf ihre Uhr. »Nimm deinen Stock und wandle. Die Zeit wartet auf keine Frau.«
    Die Blumenmeere von Bransley mit ihrem Gold-lack, den Akeleien und Tulpen hätten Emma eigentlich in helles Entzücken versetzen müssen, aber je länger sie zwischen den Beeten umherschlenderte, desto tiefer sank ihre Stimmung. Als sie den Irrgarten auf der anderen Seite des Teichs erreicht hatte, war ihr zumute, als ob eine dunkle Wolke über ihr schwebte. Sie stand am Eingang des Labyrinths und hörte im Geiste wieder Richards Triumphschrei, als er den Mittelpunkt erreicht hatte. Jetzt wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war, nach Bransley Manor zurückzukehren.
    Die logische Konsequenz wäre gewesen, jetzt sofort zu gehen, um diesen Ort so schnell nicht wieder aufzusuchen, aber als sie sich umwandte, stand der junge Mann mit der Schaufel auf der anderen Seite des Teichs. Emma erschrak und rettete sich in den Irrgarten, ohne den Winkeln und Windun-gen Aufmerksamkeit zu schenken. Lieber wollte sie den restlichen Sommer hier zwischen den Hainbuchenhecken verbringen, als das höfliche Lächeln dieses jungen Mannes noch einmal über sich ergehen lassen zu müssen. Als sie ihn jedoch aus den Augen verloren hatte, fing Emma an, Spaß an der Sache zu haben. Sie hatte ein gutes Ge-dächtnis und liebte Puzzles aller Art. Es dauerte gar nicht lange, bis sie den freien Platz im Zentrum des Labyrinths erreicht hatte. Hier hob sie triumphierend den Blick, kniff die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf, wie um ihn wieder klar zu bekommen.
    Sie war offenbar dabei, den Verstand zu verlieren. Erst ließ sie sich von einem muskulösen jungen Mann in emotionale Turbulenzen stürzen, und jetzt sah sie doppelt. Sie nahm die Brille ab, strich sich müde über

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