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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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einundzwanzig Jahre Frieden.
    Es war ein seltsam ätherischer Sonntag in England, alles war sonnig und heiter. Frank und Alice Hardy wanderten über die Hügel von Derbyshire und freuten sich über die warme Sonne und das flammende Rot der Buchen. Frank hatte die Frau, die er liebte, neben sich und war glücklich. Und Alice? Alle ihre Zweifel waren verflogen, sie hatte Frieden gefunden, und das Glück.
    Im Hochland von Derbyshire gibt es Pfade, die schon die Römer gekannt haben: breite sandige Wege, eingefaßt von niedrigen Mauern, Skabiosen und Stiefmütterchen, Silberbirken und Ebereschen. Einen solchen Pfad gingen sie entlang. Alice hatte den
    Arm um ihn geschlungen, um ihn zu stützen. Unten im Tal schlug eine Kirchenuhr elf. Dann war es wieder still. In alle Ecken und Winkel Englands sendeten die Ätherwellen die Botschaft vom Krieg. Doch Frank und Alice hörten nichts als den Gesang der Lerchen und das Zirpen der Grillen im Gras.
     
    In Warschau ging die Sonne in Rauch und Flammen unter. In Berlin sank sie langsam hinter dem Tiergarten, wo ein paar Spaziergänger den warmen Abend genossen und zuversichtlich die Meldung vom Fall Warschaus erwarteten. Am langsamsten sank der Sonnenball über der Insel, von deren Entschlossenheit oder Schwäche das Schicksal der Menschen abhängen sollte. Zögernd verschwand die rote Kugel hinter dem Spielplatz und färbte den Himmel glutrot. Nein, dieser schicksalsschwere 3. September 1939 endete nicht wie andere Tage. Benbow saß mit seiner Mutter auf einer Bank im Park und beobachtete den Sonnenuntergang. Im Süden brummte ein kleines Flugzeug; es klang seltsam zufrieden. Man hörte spielende Kinder, ein Hund bellte - es war eine Szene des Friedens. Genauso war es damals gewesen, dachte Nell, am 4. August 1914, als sie zum erstenmal gespürt hatte, daß ihr Glück bedroht war. Langsam wurden die flammenden Farben fahl und grau und schattenhaft.
    Vom Pavillon her ertönte die Glocke, und Nell erhob sich mit steifen Gliedern. «Wir müssen gehen, mein Junge, sonst schließen sie uns ein.» Am Tor wartete der Parkwächter, die Schlüssel in der Hand. «Heute haben sie’s mit London probiert», sagte er wichtig. «Den Buckingham Palace werden wir wohl nicht wieder zu sehen kriegen, Missis.»
    «In den Nachrichten heute nachmittag ist aber nichts davon gesagt worden», sagte Benbow.
    Der Mann lachte. «Sie glauben doch nicht, daß wir alles zu hören kriegen, jetzt im Krieg! Ich hab’s aus allererster Quelle: mein Schwager fährt die Strecke London-Midlands. Er ist vor zwei Stunden noch dort gewesen.»
    Am nächsten Morgen brachte der Milchmann die Nachricht, Birmingham und Nottingham seien von feindlichen Bombern zerstört worden. Auch darüber meldete die BBC nichts. Nach ein paar Tagen war klar, daß die Gerüchte alle nicht stimmten. Hitler war weiterhin dabei, Polen zu verschlingen, um England kümmerte er sich nicht. Er wußte sehr wohl, daß den Engländern die Hände gebunden waren.
    Langsam ging der Herbst in den Winter über, und nichts geschah. Allmählich setzte sich die Meinung durch, Hitler werde nach der Vernichtung Polens kehrtmachen und vorschlagen, Vergangenes zu begraben. England war nie in der Lage gewesen, Polen zu verteidigen, und wenn Polen aufhörte zu existieren, gab es eigentlich auch keinen Casus belli mehr zwischen England und Deutschland. Die Entschlossenheit von 1939 war im Schwinden...
    Bankangestellte wurden zunächst zurückgestellt. Wochen vergingen, und Nell hoffte schon, Benbow bliebe vielleicht verschont.
    Es geschah immer noch nichts — bis zum 9. April 1940. Da geschah alles auf einmal. Um 5.15 Uhr morgens fiel Hitler in Dänemark und Norwegen ein. Das war das Signal. Am 22. Juni waren Frankreich, Belgien und Holland geschlagen und das Britische Expeditionskorps nach England zurückgetrieben. Nun wurde Benbow doch noch gebraucht.
    Als seine Einberufung kam, sagte er wie immer sehr wenig. Aber schon der Gedanke an die Grundausbildung, an das Üben mit dem Bajonett, ans Granatenwerfen, erschreckte ihn. Er kannte die Schrecken des Krieges aus Büchern und Filmen. Er war kein Held und wollte auch keiner sein.
    Oma fing wie immer an zu weinen. Opa sagte: «Ein Jammer, Junge, wo du gerade so gut stehst in der Bank. Glaubst du, du kannst Weiterarbeiten für die Prüfungen?» (Für Opa hatte der zweite Weltkrieg nichts von dem Drama und der Tragik des ersten.) Großtante Mabel hatte Tränen in den Augen, brachte aber ein Lachen zustande und sagte:

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