Und der Wind bringt den Regen
er entsetzt. Er rannte zum nächsten Telefon und rief die Polizei. Als sie ihn ins Krankenhaus brachten, war es dunkel geworden.
Alice stand am Bett des Bewußtlosen. Leise sagte sie: «Ich werde nicht wieder nein sagen, Frank. Nur bleib am Leben, mein Liebster.»
Jahrelang hatte England den Krieg gefürchtet. Jetzt fürchteten die Engländer Hitler noch mehr als den Krieg. Sie versprachen den Polen, ihnen im Falle eines Überfalls zu Hilfe zu kommen.
Die panische Angst verhärtete sich plötzlich zu grimmiger Entschlossenheit.
Es war ein trauriger Sommer. Als Hitlers Truppen am 1. September morgens um vier in Polen einfielen, waren die Menschen fast erleichtert. «Es ist soweit», sagten sie. Sechs Monate hatten sie gewartet, nun wußten sie, woran sie waren.
Wußten sie es wirklich? Um sechs Uhr warfen deutsche Flugzeuge Bomben auf Warschau. Stunden vergingen. Engländer und Franzosen stellten Hitler ein Ultimatum und verlangten, er solle seine Truppen zurückziehen. Er kümmerte sich nicht darum. Seine Truppen marschierten, seine Flugzeuge bombardierten weiter.
Eine Legende berichtet, im Jahre 1588 habe sich in Reims die Erde geöffnet, und Männer und Frauen konnten in die Hölle hinabblicken; sie rochen den Schwefel und hörten die Schreie der Verdammten.
Auch vor den Engländern tat sich in den ersten Septembertagen des Jahres 1939 die Hölle auf: Sie waren praktisch unbewaffnet und wurden von Angst gepackt. Aber sie waren fest entschlossen zum Widerstand, zusammengeschweißt zu einer Bruderschaft, wie es sie seit den Tagen der Armada in England nicht mehr gegeben hatte.
Am Sonnabend, dem 2. September, tobte über Ingerby ein wildes Gewitter. Bäume wurden entwurzelt, Häuser ab gedeckt, Straßen überflutet. Am unnatürlich dunklen Himmel ging einer der hübschen Sperrballons vor der Stadt in Flammen auf und sank brennend zu Boden. Es war wie in dem Film So wird es werden. Und dabei hatte der Krieg noch nicht einmal angefangen.
An diesem Morgen, während Hitlers Panzer durch Polen rollten, heirateten Alice Dorman und Frank Hardy auf dem Standesamt. Draußen tobte der Sturm.
Edith hätte die Nase gerümpft über die schlechte Zeremonie. Der Bräutigam ging noch am Stock, die einzigen Gäste waren Nell und Benbow. Doch auf dem Gesicht der Braut lag ein so zärtliches Lächeln, wie man es seit vielen Jahren nicht mehr an ihr gesehen hatte, und der Bräutigam sah die Frau, deren Pflege ihm ins Leben zurückgeholfen hatte, mit tiefer Dankbarkeit an.
Blitze zuckten, Donner grollten, Regen stürzte nieder, als die beiden aus dem Standesamt traten. Es kümmerte sie nicht. Sie waren endlich zur Vernunft gekommen, und sie hatten eine Nacht, eine Woche, vielleicht sogar ein paar Monate, um die verlorenen zwanzig Jahre wettzumachen.
Am Nachmittag gingen Nell und Benbow los und kauften Verdunkelungsmaterial und Klebestreifen, um die Fenster vorm Zersplittern zu schützen. Nell war elend zumute. Erst hatten sie ihren Mann geholt. Und jetzt würden sie ihren Sohn holen—ihren einzigen Schild gegen die Einsamkeit und Monotonie ihres Lebens.
Benbow war der Verzweiflung nahe. In seinen Tagträumen sah er sich mit seinem Regiment schon in einem deutschen Dorf, wo er eine zerlumpte Gestalt aus den Trümmern hob - Ulrike! Vor
allem aber sagte er sich, daß sich durch Hitlers Krieg in Polen ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen ihm und Ulrike auftat. Sie standen auf feindlichen Seiten, und es war ein Kampf auf Leben und Tod.
Und noch etwas wurde ihm klar: er mochte die Bank zwar nicht, aber die Army würde er noch weniger mögen. Er war kein Held. Überhaupt begrüßte in der Familie keiner diesen Krieg mit heroischen Gefühlen. Doch das war wohl in ganz England so.
Oma Dorman, deren Lieblingsplatz immer das Bett gewesen war, fand, das Bett sei auch der sicherste Platz, wenn Bomben fielen, und Will Dorman stimmte ihr zu. Als England anfing, Ultimaten zu stellen, hatte Opa bereits in kluger Voraussicht und mit Benbows Hilfe ein Doppelbett und eine Kommode in den Keller s gestellt und elektrisches Licht und ein Heizöfchen installiert. Gerechterweise muß erwähnt werden, daß Opa einen Augenblick auch an Betten für Nell und Benbow gedacht hatte. Aber das ließ; die Schicklichkeit dann doch nicht zu.
Großtante Min war in ihrem Element. Sie hatte ihr Haus von oben bis unten mit Konserven gefüllt. Sie standen überall, in den Schränken, unter der Treppe, auf Kleiderschränken und
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