Und der Wind bringt den Regen
«Wenn du Siegfried im Schützengraben triffst, sag ihm gründlich die Meinung, hörst du?»
Bevor Benbow abreiste, geschah abseits von den Millionen Tragödien, die Europa zerrissen, noch etwas Trauriges: Will Dorman starb eines Nachts im Schlaf.
Er war in einer Welt der Öllampen und der Pferdekutschen und der schlichten Glaubensbekenntnisse aufgewachsen. Und er verließ eine Welt der Bomber und U-Boote, eine Welt, die nur einen Gott kannte: den Gott der Schlachten. Auch ein hellerer Kopf hätte diesen Fortschritt nicht ohne weiteres als Fortschritt begreifen können. Will hatte das Leben auf seine Weise genommen, ohne jede Selbstkritik; er hielt sich für einen guten und freundlichen Mann - was sicher besser war, als wenn er sich für hart und schlecht gehalten hätte, denn es zeigte, wohin sein Herz wies.
Die jungen Männer fielen zu Tausenden - da erschien der Tod eines alten Mannes nicht weiter erwähnenswert. Aber sie taten ihr Bestes für ihn. Nell und Edith vergossen ein paar Tränen. Albert, der zum Testamentsvollstrecker bestellt war, kam sich überaus wichtig vor und verschwendete keine Zeit mit Weinen. «Ein Testamentsvollstrecker muß mächtig aufpassen», erklärte er wichtigtuerisch jedem, der es hören wollte. «Man darf da keinen Fehler machen.»
Alice, die ihren Vater fast mit Verachtung betrachtet hatte, war selbst erstaunt, wie nahe ihr sein Tod ging.
Benbow stand allein am offenen Sarg und weinte — er hätte nicht sagen können warum. Es war der erste Tote, den er sah. Menschen zu sehen, gehende, sprechende, hörende und sehende Menschen, die lachten und herumliefen und sich stritten und alt wurden, und dann plötzlich das Ende zu sehen, diesen Schlußpunkt... Das riß ihn um, zumal er selber noch jung war und damit rechnen mußte, dem Tod sehr bald ins Auge zu sehen — einem tausendmal schlimmeren Tod.
Crystal (die auf einmal erwachsen war und recht hübsch, wie Benbow fand, nur daß sie so aussah, als ob sie morgens und abends Sahnetörtchen äße, was sie im übrigen auch tat, wenn es welche gab) war die einzige, die wirklich zu trauern schien. Oma dagegen blieb ungerührt. Sie sagte fast nichts, und sie vergoß keine Träne. Fast schien es, als triumphiere sie im stillen, daß sie, ewig klapprig und kränklich, es geschafft hatte, ihren Mann zu überleben.
Benbow blieb noch bis zur Beerdigung, mußte aber sofort danach abreisen. Nell hatte ihn unter allen Umständen zur Bahn bringen wollen. Doch das ging nun nicht; sie mußte sich um den Leichenschmaus kümmern.
So zog Benbow allein in den Krieg - in einem stickigen Dritter-Klasse-Abteil, voller Angst und einsam und angespannt, aber äußerlich so gelassen und ungerührt, als säße er in der Straßenbahn und führe zum Büro. Benbow wurde bald von den Nebeln des Krieges verschluckt. Die Welt versank in einem fünf Jahre währenden Alptraum des Hasses und der Vernichtung, den zu überleben kein Mensch für möglich gehalten hätte.
Nell ertrug auch diese Trennung. Sie hatte sich ein Leben ohne Benbow nicht vorstellen können. Er war immer bei ihr gewesen, seit Toms Tod, ruhig und schweigsam und verschlossen, und seine Gegenwart hatte ihr Trost und Glück gebracht...
Es war still geworden im Hause Omdurman. Opa und Benbow waren nicht mehr da. Oma war fast taub. Aber die Tatsache, daß Opa vor ihr gestorben war, hatte ihr Auftrieb gegeben. Hatte sie bisher, wenn sie etwas wollte, nur gewimmert und lamentiert, so begann sie jetzt Nell mit Entschiedenheit Anweisungen zu erteilen.
Als die ersten Bomben fielen (gleich nach Benbows Abreise), erklärte sie, sie werde jetzt im Keller wohnen. Nell versuchte sie umzustimmen. Sie redete auf sie ein und rief schließlich sogar Doktor Greene zu Hilfe. Aber es war alles vergeblich.
So lebte Oma von nun an «im Untergrund». Nell brachte ihr das Essen und die Wärmflaschen, schleppte den Eimer nach oben und hängte sogar ein Bildchen von Holman Hunt, Das Licht der Welt, an einen Nagel im Keller, um der alten Frau eine Freude zu machen. Oma verließ ihr Bett nur noch selten, und da sie taub war, hörte sie auch nichts von den Bomben.
26
Der Sommer 1940 war unbeschreiblich schön und warm. Vielleicht kam er den Menschen nur schöner vor als andere Sommer, weil man ihn vor dem Hintergrund des Krieges, der Bombenkrater und der Luftschutzräume sah. Doch auch dieser Sommer verging, schwere Herbstnebel verhüllten die Sonne, und es wurde kalt. Man schrieb November.
Manchmal, nicht
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