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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Fensterbänken. Suppen und Bohnen und Lachs und Sardinen und Pfirsiche und Ananas und Toffees. Sie kannte jedes Gerücht, selbst das dümmste, und lief trotz ihrer Jahre herum und erzählte es weiter und verbreitete Hoffnung und Angst.
    Was sie nicht erfuhr, das las Albert in der Zeitung, und gemeinsam kochten sie dann die unsinnigsten Geschichten aus: Am Westwall war die Cholera ausgebrochen, und die Truppen meuterten; Hitler besaß eine Geheimwaffe, mit der er ganz London in einer Nacht vernichten konnte; Hitler hatte sich erschossen; Chamberlain hatte sich erschossen; Mussolini hatte sich erschossen; die; meisten von Hitlers Panzern bestanden aus Pappe - das hatte der Freund eines Freundes in Österreich selber gesehen, als ein Radfahrer mit einem Panzer zusammengeprallt war und ihn völlig zerquetscht hatte. Oder: die polnische Luftwaffe bombardiere Berlin Tag und Nacht. Und der Milchmann wußte aus sicherer Quelle, daß das erste Ziel der deutschen Bomber in England die Munitionsfabrik in Ingerby war.
     
    Großtante Mabel hatte die gleiche Angst wie Benbow: wenn es zum Krieg mit Deutschland kam, würden sie und Siegfried Feinde sein.
    Aber im Grunde änderte das auch nichts mehr an ihrer Lage. Die Einsamkeit war schlimm genug. An den langen Sommerabenden saß sie allein zu Hause, unruhig und voll Verlangen nach einem Gesprächspartner. Dann hörte sie entweder die Nachrichten im Rundfunk oder blickte aufs weite Moor hinaus.
    Und nun stand wieder ein Krieg bevor! Man mußte wieder Formulare ausfüllen, es gab wieder weniger zu essen. Sicher würde auch Benbow eingezogen werden, dann war Nell wieder allein — wie damals. Und wie lange wohl. Der Gedanke, daß England nicht siegen könnte, kam ihr nie - wahrscheinlich kam er keinem Menschen in England, denn England gewann jeden Krieg.
    Über dem Moor tobte der Sturm. Er zerrte an den Bäumen, zerriß die Wolken und pfiff die dunklen Wege entlang. Mabel stand am Fenster und hielt sich ein Kissen über die Ohren, um das Grollen des Donners nicht zu hören. Donner und Blitz hatte sie nie gemocht, sie bekam Kopfschmerzen davon - und nicht nur das, es ängstigte sie. Während sie hinaussah, erschien am Horizont ein Konvoi Heereslastwagen. Sie fuhren kreuz und quer durch das Moor, mit leuchtenden Scheinwerfern, kamen näher und näher und blieben schließlich ein paar hundert Meter von Mabels Haus entfernt stehen. Männer sprangen herunter und fingen an, Sachen abzuladen. Interessiert sah Mabel ihnen zu. Allmählich legte sich der Sturm, und ein schwefelgelber Sonnenstrahl fiel auf so etwas wie einen großen silbernen See, der vor den schweren Lastwagen lag und sich jetzt zusammenschob und in die Luft erhob, höher und immer höher, bis er sanft und glänzend in der Sonne schaukelte, rund und freundlich. Mabel war schon dabei, ihre Gummistiefel überzustreifen und den alten schwarzen Mantel anzuziehen. Ziemlich außer Atem kam sie bei den Männern an.
    Die Männer von der Royal Air Force erwarteten sie bereits. Sie hatten sie kommen sehen. Ein grauhaariger Sergeant trat vor und grüßte.
    «Sergeant Catchpole, Ma’am. Ballons. Es sieht so aus, als seien wir Nachbarn.» Er lächelte. Die anderen grinsten oder taten so, als wären sie beschäftigt.
    «Bei mir steht immer ein Teekessel auf dem Herd», sagte Mabel. «Sie sind mir stets willkommen, Sie alle.»
    «Da nehme ich Sie jetzt gleich beim Wort», sagte der Sergeant erfreut. «Mir klebt die Zunge am Gaumen.»
    Er ging mit ihr ins Haus und trank eine Tasse Tee bei ihr. Inzwischen machte Mabel ein Tablett zurecht, mit Schinkenbroten, Milch und Zucker und einer mächtigen Kanne Tee und ging damit zu den anderen Männern. Sie verbrachte den nettesten Abend, seit Siegfried sie verlassen hatte.
    Und die deutschen Flugzeuge flogen weiter nach Polen und entluden erbarmungslos ihre Bomben über der zerschlagenen Stadt Warschau.
     

25
     
    Am Sonntagmorgen um elf lief das Ultimatum ab. Es war ein typisch englischer Sonntag und ein typisch englischer Septembermorgen, mit Sonnenschein, angenehm frischem Wind und Kirchenglocken. Die Straßen waren sauber und leer. Sonntäglich gekleidet, mit dem Gesangbuch in der Hand, gingen die Menschen in die Kirche. Die Glocken verklangen, die letzten Kirchgänger verschwanden hinter den hohen Kirchentüren aus Eichenholz und Mahagoni, es herrschte Stille. Bis plötzlich aus tausend Radioapparaten die Glocken von Big Ben ertönten: sie schlugen elf Uhr und verkündeten England das Ende der

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