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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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sehr häufig, hielt der Nebel die Bomber fern.
    Am 13. November war Vollmond — «Bombenmond», wie man ihn nun nannte, und in dieser Nacht kamen sie.
    Die Sirenen heulten in Coventry, Derby und Ingerby, und gleich darauf hörte man auch schon das drohende Brummen der Flugzeuge und in der Ferne das dumpfe Grollen von den Schüssen der Flugabwehrkanonen.
    Oma hatte zu Abend gegessen. Sie saß im Bett und las in der Bibel. Ärgerlich säuberte sie ihre Brille und sagte: «Hat keinen Zweck, Nell. Ich kann diese kleinen Buchstaben nicht mehr lesen. Geh rauf und hol mir die große Bibel, sie liegt auf Dads Nachttisch.»
    «Ich kann jetzt nicht raufgehen, Mutter», sagte Nell. «Es ist Fliegeralarm.»
    «Die große Bibel meine ich. Auf Dads Nachttisch.»
    Nell nahm die Zeitung, schrieb «Alarm» an den Rand und gab sie der alten Frau.
    Oma besah sich das Wort, blickte über den Rand ihrer Brille hinweg und verstand schließlich. «Ich höre aber gar nichts», sagte sie klagend.
    «Na, es ist aber Alarm. Er hört sich an wie Hunderte von Flugzeugen.»
    Oma horchte und schüttelte den Kopf. «Ich höre gar nichts.»
    «Aber fühlst du nicht, wie der Boden zittert?»
    «Was?»
    Nell überlegte. Das wird ewig so weitergehen, dieses Gerede, sagte sie sich, vielleicht die ganze Nacht. Und der Alarm auch. Vielleicht hatten sie es ja gar nicht auf Ingerby abgesehen, sondern auf Coventry oder Birmingham.
    «Du brauchst höchstens eine Minute», sagte Oma böse.
    Immerhin war Alarm, und man hörte die feindlichen Flugzeuge. Es war zu leichtsinnig...»
    «Tom wäre bestimmt gegangen», sagte Oma. «Der hätte nicht so lange überlegt.»
    Nell war kurz vor einem Wutanfall. Sie nahm die Taschenlampe, lief die Kellertreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal, schob die Tür zurück und trat in die Küche.
    Sie sah, daß der ganze Himmel von Flammen und Blitzen erleuchtet war. Das dumpfe Brummen der Flugzeuge war hier noch sehr viel lauter. Sie hatte Angst, große Angst. Aber nun hatte sie sich so weit vorgewagt... Sie ging durch das verlassene Eßzimmer in den Hausflur. Die Treppe lag vor ihr, und sie setzte gerade den Fuß auf die erste Stufe, als ein krachender Donnerschlag sie zusammenfahren ließ. Es war, als höbe sich das ganze Haus in die Höhe. Dann war es totenstill. Und in dieser Stille stürzte Nell die Treppe hinauf: nicht weil sie es für vernünftig hielt oder weil sie Angst hatte vor der Schelte der alten Frau, sondern weil sie zu Ende bringen wollte, was sie sich vorgenommen hatte.
    Als sie oben durch den Flur ging, war es draußen ruhig. Vielleicht machen sie eine Pause, dachte sie, oder sie sind weitergeflogen.
    Sie trat in das große Schlafzimmer, wo es immer so stickig und muffig roch. Silbern lag das Mondlicht auf dem Fußboden, still wie ein Bergsee zwischen den Hügeln. Nell nahm schnell die Bibel vom Nachttisch und lief zur Tür zurück. Einen Augenblick blieb sie stehen und blickte ins Zimmer zurück, wo sie Oma so oft die Medizin gegeben, die Kissen aufgeschüttelt oder die Brille gesucht hatte. Tränen traten ihr in die Augen - seltsam, früher waren ihr jene Tage nicht so glücklich erschienen. Aber es waren friedliche Tage gewesen. Im Zimmer nebenan hatte Benbow geschlafen, die Küche unten war warm und behaglich, und die Nächte waren ruhig und ungestört gewesen. Sie hatte das alles nicht richtig zu schätzen gewußt.
    Ein feuriger Blitz zuckte durchs Zimmer, und ein Krachen folgte, das Nell in Stücke zu reißen schien. Holz splitterte. Irgendwo stürzte eine Wand ein. Nell wußte nicht, wie lange sie da gestanden hatte. Sie war wie gelähmt vor Angst und geblendet von dichten weißen Staubwolken. Zitternd tastete sie sich zur Treppe.
    Die Treppe war verschwunden. Nell blickte in ein dunkles Loch. Sie knipste die Taschenlampe an: zersplittertes Holz, Mauerbrocken, Trümmer, Staub.
    Stöhnend bahnte sie sich einen Weg in ihr Zimmer. Benbows Bett stand noch da - ihr eigenes war im Keller —, und es erschien ihr wie eine tröstende Oase in dem Inferno ringsum.
    Ununterbrochen schlugen jetzt Bomben ein. Die Blitze der Explosionen zuckten durch den vom fahlen Mondlicht erhellten Raum. Sie stand da und hielt sich instinktiv die große Bibel vor den Kopf. Die Explosionen dröhnten wie Hammerschläge in ihren Ohren. Aber sie konnte noch denken. Oma wartete auf die Bibel. Und bald mußte sie ihre Medizin haben. Und die Treppe war nicht mehr da, sie konnte nicht nach unten.
    Sie ging ans Fenster. Vielleicht

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