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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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wird er es von jemand anderem erfahren.»
    Alice schwieg. Dann sagte sie mit gerunzelten Brauen; «Hältst du mich eigentlich für ein Ungeheuer? Ich könnte einen Menschen nicht so verletzen.»
    «Wenn er’s von anderer Seite hört, wird es ihn noch mehr verletzen.»
    «Das muß ich riskieren», sagte Alice kurz. Dann fragte sie in völlig verändertem Ton: «Nell, willst du meine Ehrendame bei unserer Hochzeit sein?»
    Nell starrte sie an. «Aber... Edith... und die Schwestern im Lazarett...
    Alice berührte ihre Hand. «Ich möchte dich haben, Liebes.»
    Zärtlichkeiten war man bei Alice nicht gewöhnt. Aber auch ohne sie wäre Nell überwältigt gewesen. Alice, die so turmhoch über ihr stand, wollte sie als Ehrendame haben! Es war einer der stolzesten Augenblicke in Nells Leben. «O Alice!» sagte sie ein bißchen außer Atem. «Gern! Ich hab noch das blaue Kostüm von meiner Hochzeit mit Taffy. Meinst du, daß das geht?»
    «Wunderbar. Das stand dir ganz reizend.»
    Nell errötete. Die schöne Alice machte ihr so ein Kompliment! In diesem Augenblick wäre Nell glatt für sie gestorben.
    Sie saßen am Küchentisch, auf der gescheuerten Tischplatte stand der unvermeidliche Tee. Benbow lag auf dem Fußboden und zeichnete Lloyd George, für den er einiges übrig hatte. Lloyd George war lange nicht so leicht zu erkennen wie der Kaiser, er trug keinen Helm, sondern einen Zylinder, und auch sein Bart war nicht so einmalig.
    Es klopfte an der Haustür.
    «Ich gehe», sagte Nell und kam gleich darauf mit einem Mann in dunkelblauem Anzug und grauem Schlapphut zurück.
    Niemand sprach.
    Benbow zeichnete weiter; er war daran gewöhnt, daß Männer ins Haus kamen — der Mieteeinnehmer, Versicherungsagenten, Gasableser. Und jeder richtete ein paar alberne, herablassende Worte an ihn. Deshalb hielt er den Kopf gesenkt.
    Niemand sprach. Der Kessel summte. Auf der braunen Tapete lag ein Streifen Nachmittagssonne (die tägliche Zuteilung für die Küche), weich und goldfarben. Das Feuer knisterte. In der kleinen Küche war es warm und gemütlich und still; alles, von der Teedose auf dem Kaminsims bis zum Kamingitter, war gepflegt und blankgeputzt. Es war der Inbegriff englischer Behaglichkeit, und für Frank Hardy war es die Heimkehr in ein nie vergessenes Paradies.
    Niemand sprach.
    Langsam erhob sich Alice und blieb stehen, groß und schlank, das schmale Gesicht ausdruckslos, nur die Augen hell und lebendig.
    «Frank!» sagte sie.
    «Komm mit, Benbow», sagte Nell.
    Benbow wollte nicht, er spürte, daß etwas Aufregendes los war. Aber zu seinem Kummer nahm ihn seine Mutter bei der Hand und zog ihn aus dem Zimmer. Frank und Alice standen noch immer da und starrten einander an. Plötzlich lagen sie sich in den Armen und er murmelte wieder und wieder ihren Namen, wie ein Gebet.
    Jahrelang hatte er mit angesehen, trockenen Auges und mit eiserner Selbstbeherrschung, wie seine Freunde und Kameraden starben.
    Jetzt weinte er hilflos.
    Doch sie vergoß keine Träne.
    Auch die anderen weinten. Tränen liefen über das Gesicht des alten Mannes, als er Franks Hand festhielt und sagte: «Wir wurden nicht alle zum Opfer ausersehen, mein Junge. Keiner soll sagen, du hättest nicht deine Pflicht getan, obgleich du heimgekommen bist und andere nicht.»
    Als Benbow festgestellt hatte, wer der Ankömmling war, fing er ebenfalls an zu weinen, weil er fest damit gerechnet hatte, Onkel Frank werde ihm einen deutschen Helm mitbringen.
    Franks gesunde Heimkehr hatte sie alle noch einmal an Toms Opfertod erinnert - eine Taktlosigkeit, die Oma erneut aufs Krankenlager warf. So blieb ihr ein Zusammentreffen mit Frank erspart und sie konnte nach Herzenslust weinen.
    Auch Nell weinte an diesem Abend. Weil Frank lebte und Tom tot war? Nein, es kam noch etwas anderes hinzu. Sie weinte, weil zwei Menschen, die so viel mehr besaßen als sie selber - Schönheit, Intelligenz, Charakter —, zwei Menschen, die das Leben besser verstanden als sie und die sie mehr achtete und bewunderte als alle anderen, zueinander gefunden hatten. Und sie weinte, weil sie das alles als Außenstehende beobachten mußte, ohne Neid zwar und ohne Eifersucht, aber mit einem Gefühl schrecklicher Einsamkeit und lähmender Unterlegenheit.
     

14
     
    Alice wünschte sich eine kleine stille Hochzeit, doch damit war Frank nicht einverstanden. Er hatte bei der Armee gelernt, daß Formen wichtig sind, und was er tat, wollte er richtig tun. Er fühlte sich wohl in der Uniform. Vor allem

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