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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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dieser Vanwy eine Wohnung genommen. Draycott Street.» Wohnungen grenzten für Min schon an Unmoral.
    «Nell ist also wieder bei Will und Lizzie. Warum ist sie denn nicht mit dem Jungen im Haus geblieben?»
    Solche Art Fragen liebte Min. «Die Nachbarn haben sich beschwert - der Hauswirt konnte gar nicht anders. Aber er hatte Mitleid und hat ihr einen Monat Frist gegeben. Seine Frau hätte sie am liebsten gleich am nächsten Tag rausgehabt, hab ich gehört.» Jetzt kam Min so richtig in Fahrt. «Außerdem hatten sie ja fünf Shilling pro Woche zu zahlen. Wo soll jemand wie Nell so viel Geld hernehmen?»
    Ja, woher? dachte Mabel traurig. «Hör zu, Min», sagte sie, «sag Nell, sie soll mit dem Jungen mal für einen Tag herkommen, wenn das Wetter schön ist. Wir machen dann ein Picknick, das wird ihnen beiden guttun.» Sie blickte in Mins Tasse. «Fertig? Dann will ich jetzt mal weitermachen, Min. Sei nicht böse.» Sie erhob sich.
    Ziemlich enttäuscht verließ Min das Haus. Die eigene Schwester — so wenig Interesse für die Familie! «Sie denkt zu viel an sich selber», murmelte sie, als sie zur Straßenbahnstation trottete.
     
    So ganz hatte Min nicht die Wahrheit gesagt, als sie erzählte, Nell habe um neun Uhr vor Wills und Lizzies Haus gestanden und gebeten, ob sie nicht zurückkommen dürfe.
    Nell hatte ein böses Erwachen gehabt: Die Erinnerung an das Geschehene hatte sie überfallen wie eine Schar Fledermäuse im Keller. Der Verrat ihrer Liebe, die Schändung ihres geliebten Zimmers, die Tatsache, daß Taffy weg war und sie ohne einen Pfennig dasaß. Dann die Erinnerung daran, daß sie ihre Cousine die Treppe hinuntergeworfen und ihren Mann, den sie liebte und von dem sie völlig abhängig war, aus dem Hause gejagt hatte. Nicht in unbeherrschter Wut, sondern in kaltem Zorn. Und das Schlimmste war, daß es ihr nicht mal leid tat - sie bereute nichts.
    Schlimmer als der Treuebruch ihres Mannes und schlimmer als Vanwys Betrug war für sie, daß sie das Haus aufgeben mußte, in das sie erst vor kurzem eingezogen war wie eine Königin in ihr Königreich.
    Benbow schlief noch. Sie hörte die Kirchenuhr von St. Barnabas siebenmal schlagen. So früh noch? Sie war unbeschreiblich müde; ihre Glieder schmerzten, und sie sehnte sich danach, für immer in der warmen Geborgenheit des Federbetts auszuruhen. Aber sie hatte Opa versprochen zu kommen, und nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ein Versprechen zu brechen, selbst wenn der Himmel einstürzte.
     
    «Komm rein», sagte der alte Mann mit unbewegtem Gesicht und schloß die Tür.
    «Wie geht’s ihr?» fragte Nell.
    «Mäßig. Aber sie hat etwas gegessen.» Seine Stimme wurde vorwurfsvoll. «Als du nicht kamst, habe ich ihr selber was zurechtgemacht.»
    «Ich dachte, du wärst froh, wenn ich nicht noch früher komme.» Nell ging nicht auf den Vorwurf ein.
    «Naja, aber...» In seinem Blick lag jetzt Verzweiflung. «Nell... könntest du... könntest du nicht... zurückkommen? Ich weiß nicht, was ich sonst...» Er schwieg.
    «Zurückkommen? Ja, das könnte ich.» Sie mußte fast lachen. «Taffy hat mich verlassen.»
    Er starrte sie an, sein Blick schwankte zwischen Zweifel und Hoffnung. «Wieso — ist er fort?»
    Sie nickte.
    Hatte Gott seine Gebete erhört? Doch bei aller Dankbarkeit: jetzt mußte er aufpassen und durfte keinen Fehler machen. «Ist ja alles gut und schön», sagte er langsam. «Aber schließlich bist du gegangen, weil es dir in den Kram paßte. Du kannst nicht einfach kommen und gehen, wie es dir gefällt.»
    «Aber du hast mich doch eben selber gebeten, zurückzukommen», sagte sie erstaunt.
    «Na, ja. Ich hab’s dir ja oft genug gesagt: bei uns ist immer ein Platz für Toms Frau. Nur - selbstverständlich ist das nicht, mehr wollte ich damit nicht sagen.»
    Sie war immer noch verwirrt.
    «Ich weiß natürlich nicht, wie Oma dazu steht», sagte Opa.
    «Sie hat es dir sehr übelgenommen, als du so einfach weggingst.» Jetzt fiel ihm etwas Schreckliches ein. «Glaubst du, Taffy wird weiter bei uns arbeiten?» fragte er erschreckt.
    «Das weiß ich nicht, Dad.»
    Er biß sich auf die Unterlippe. «Dann säße ich ganz schön in der Klemme.» Er straffte sich. «Ich werd jetzt zu ihr gehen und ihr sagen, daß du zurückkommen willst. Sie wird nicht gerade froh darüber sein.» Ein fast durchtriebener Blick streifte Nell. «Aber ich werde tun, was ich kann, Nell.»
    So kam Nell also zurück und übernahm wieder das Kochen und Putzen und Waschen.

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