nach. Vielleicht hieß das, daß Mr. Evans nicht wiederkam. Er hoffte es. Er drängte sich enger an seine Mutter und war bald fest eingeschlafen.
Auch Nell schlief ein und hielt ihren Sohn, ihr Stückchen Tom, fest an sich gepreßt. Sie schlief noch, als das Morgengrauen durch die ärmlichen Straßen kroch und die Spatzen in der Silberbirke erwachten und laut zu tschilpen begannen.
13
Großtante Min platzte fast vor Mitteilungsbedürfnis. Sie hatte das Gefühl, krank zu werden, wenn sie die Neuigkeit nicht bald loswerden konnte. Sie ging ihre Bekannten der Reihe nach durch; aber alle wußten es schon. Dann fiel ihr ihre jüngere Schwester ein. Mabel! Das war eine Möglichkeit - wo sie so weit draußen im Moor wohnte! Die hatte es sicher noch nicht gehört. Min band ihre Schürze ab, drückte sich den schwarzen Strohhut auf den Kopf und fuhr mit der Bahn bis zur Endstation.
Mabel wußte, daß ihre Schwester nur zu ihr kam, wenn sie irgendeine Klatschgeschichte zu erzählen hatte. Sie selber fand Klatsch uninteressant und erzählte, während sie zwei Tassen Tee von undefinierbarer Farbe einschenkte, lieber von ihren Schweinen, von Kleie, Kohl und Kartoffeln. Min wurde ungeduldig und Mabel schwieg schließlich.
Aber Min war eine viel zu gewiefte Klatschtante, um ihre Geschichte zu überstürzen. Sie fragte zunächst: «Von deinem Siegfried hast du wohl nichts mehr gehört, was?»
Mabel schüttelte den Kopf. «Der kann sicher gar nicht schreiben, nicht mal in seiner eigenen Sprache», meinte sie und dachte im stillen: Zum Satan mit Min. Warum rückt sie nicht mit der Sprache raus und macht, daß sie wegkommt, statt alte Wunden aufzureißen? Denn Mabel hatte tatsächlich jeden Morgen, seit Sieg weg war, nach dem Postboten Ausschau gehalten - und manchmal sogar ein paar Tränen vergossen. Aber das ging Min einen Dreck an.
Min behielt, wie eine gute Köchin, das Beste bis zum Schluß. Erst kamen die Hors d’œuvres. «Edith macht sich Sorgen», sagte sie. «Albert verdient nicht mehr viel, seit es mit der Munitionsfabrik aus ist.»
Mabel schenkte frischen Tee ein. Ob Edith wohl lieber weiter Krieg und damit mehr Geld gehabt hätte?
«Alice zieht immer noch mit diesem Walter rum. Und dabei kann Frank jetzt jeden Tag zurückkommen.»
«Ist doch schön, daß es wieder’n bißchen Zucker gibt», meinte Mabel harmlos und gab noch einen halben Teelöffel voll in Mins Tasse.
«Ja», sagte Min gleichgültig. Im Grunde waren ihre vier Sacharintabletten ihr lieber. Aber sie ließ sich nicht ablenken. «Da kommt’s bestimmt noch zum Krach», sagte sie.
«Kann sein», sagte Mabel und gähnte.
Gekränkt beschloß Min, zum Hauptgang überzugehen. «Lizzie geht’s jetzt etwas besser», sagte sie.
«Wie schön», sagte Mabel, die gar nicht gewußt hatte, daß es Lizzie nicht gutgegangen war.
«Bloß gut, daß sie jemand hat, der sie versorgt. Will hätte das nie geschafft.»
«Ja», sagte Mabel. Wer mochte das sein?
Jetzt hielt Min es nicht länger aus. Sie blickte ihre Schwester scharf an und fragte: «Du weißt es also schon?»
«Was soll ich wissen?» fragte Mabel resigniert.
Min starrte sie an, halb ungläubig, halb erfreut. «Soll das heißen, du wußtest es nicht?»
«Nun red doch schon», Mabels Finger klopften ungeduldig auf den Tisch.
«Also dann hör zu!» Min rückte sich zurecht, ihre kleinen Augen glitzerten boshaft. Und sie begann zu berichten. Sie wählte sorgfältig die Worte und baute die ganze Szene geschickt und künstlerisch auf. Diese Nell! Und dieser Taffy! «Rausgeschmissen hat sie sie, um vier Uhr morgens!» Sie sog die Luft ein und sagte dicht an Mabels Ohr mit triumphierend-krächzender Stimme: «Splitterfasernackt!»
«Arme Nell», sagte Mabel nachdenklich.
Auf eine so enttäuschende Reaktion war Min nicht gefaßt. «Na, der fehlt doch nichts», sagte sie hämisch. «Um neun Uhr war sie schon wieder bei Will und Lizzie und hat gebeten, ob sie zurückkommen dürfte.»
«Und sie haben sie aufgenommen?»
«Naja, da ging es Lizzie doch gerade so schlecht. War ein Wink des Himmels, würde ich sagen.»
«Arme Nell», sagte Mabel noch einmal.
Das war zuviel für Min. «Sag doch nicht immer
! Sie hat’s, weiß Gott, nicht besser verdient! Sich mit diesem Taffy einzulassen, noch bevor sie verheiratet waren! Ich hab es gewußt. Ich hätte ihr sagen können, wie das ausgeht.»
Diesmal mußte Mabel etwas fragen. «Ist denn Taffy ganz fort?»
Min nickte heftig. «Er hat mit