Und der Wind bringt den Regen
nachher, Lieber.» Sie warf ihm eine Kußhand zu.
Frank blickte sie an. Die Kußhand machte ihn stutzig - das sah Alice so gar nicht ähnlich. Auch ihr Lächeln war wie gefroren. «Ich möcht’s lieber gleich wissen», sagte er und kam ins Zimmer zurück.
Niemand wagte ihn anzusehen. Er fragte ruhig:
«Wer ist Walter?»
«Frank», sagte Opa, «der Pfarrer wartet nicht gem.»
Benbow, immer noch aufgekratzt, wollte sich noch einmal in den Mittelpunkt schieben und sagte wichtig: «Onkel Walter hat mir immer Bonbons mitgebracht. Tante Alice, warum kommt Onkel Walter gar nicht mehr?»
«Sei still, Benbow.» Nell legte ihm die Hand auf die Schulter.
Aber Benbow, sonst so schweigsam, sprudelte plötzlich über vor Mitteilungsbedürfnis. Er wandte sich an Frank Hardy und sagte: «Onkel Walter und Tante Alice haben mir Weihnachten eine große Tüte Nordseekiesel mitgebracht.» Er lachte, als er an die glatten rosaweißen Bonbons dachte. Nordseekiesel zu Weihnachten — so was Komisches!
Nell nahm ihn auf den Arm und trug ihn nach oben, wo sie ihm ungerechterweise eine Tracht Prügel verabreichte. Als sie wieder herunterkam, fand sie Großtante Mabel vor der Zimmertür. «Geh lieber nicht rein», sagte sie traurig. «Sie bereden es gerade.»
Ja, sie beredeten es, nachdem Frank einfach gesagt hatte: «Laßt uns jetzt bitte allein.»
Opa hatte protestierend auf seine Uhr gezeigt, aber Frank hatte es ignoriert. Er stand da und wartete. Alle gingen hinaus, etwas beschämt, aber im Grunde froh, nicht dabei sein zu müssen. Niemand liebte Auseinandersetzungen. Sie ließen sich in der Küche nieder — wie aufgebrachte Hühner, meinte Mabel. Opa warf einen letzten verzweifelten Blick auf seine Uhr und sagte: «Du mußt wohl rübergehen zum Pfarrer und ihm sagen, daß wir
nicht mehr kommen, Albert. Und mach du uns jetzt mal eine Tasse Tee, Edith, die können wir brauchen.»
Alice und Frank standen einander gegenüber. «Wer ist Walter?» fragte Frank noch einmal.
«Ein Freund von mir. Er war es —jetzt ist er es nicht mehr.»
Frank schwieg lange und starrte auf den Fußboden. Dann ging er auf sie zu, ohne sie anzusehen, und nahm ihre Hände. «Ich will es nicht wissen», sagte er steif. «Lieber nicht. Wenn es wirklich aus ist...»
«Es ist aus», sagte sie und fügte heftig hinzu: «Und ich wäre froh, wenn es nie angefangen hätte!»
«Mach dir keine Vorwürfe.» Er hielt ihre Schultern fest. «Ich will es nicht wissen. Und damit Schluß.»
«Du hast ein Recht, es zu wissen.»
Er schüttelte den Kopf. «Später vielleicht. Nicht jetzt.» Er lächelte. «Wir sehen uns in der Kirche.» Er ging auf die Tür zu.
«Du mußt es aber jetzt wissen», sagte sie mit tonloser Stimme.
Wieder schüttelte er den Kopf. «Der Krieg hat lange gedauert. Ich hätte wissen können -» Ihm fiel etwas ein, und das Lächeln verschwand. «Der Junge sagte etwas von Weihnachten - was war das?»
Sie sah ihn an, und in ihren Augen stand Angst.
«Letztes Weihnachten?» fragte er. «Als ich auf Urlaub kam?»
Sie nickte, aber sie sah ihn nicht an. «Ich war in Scarborough. Mit Walter.»
Er griff nach einem Strohhalm. «War er einer von deinen Verwundeten? Auf Genesungsurlaub?»
Jetzt sah sie ihn an, und ihr Blick war kalt, fast feindselig. «Ich hatte dich gebeten, mich nicht auf ein Piedestal zu stellen. Nein, Walter ist kein verwundeter Held. Er ist Schlachter, er schenkte meinem Vater Wurst, und mir -»
«Was? Was hat er dir geschenkt?»
«Ich glaube, das weißt du», sagte sie erschöpft. Sie ließ den Rosenstrauß aufs Klavier fallen und nahm den kleinen Hut ab.
Lange sagte er nichts. Dann: «Und der Brief, den du mir nach Weihnachten schriebst - daß du mit einer anderen Schwester verreist warst?»
«Ja. Alles gelogen.»
Er stand still und dachte an seine treuherzige Antwort auf diesen Brief: Er hoffe, die Seeluft habe ihr gutgetan nach all den schweren Jahren; und: Seine Liebe und Sehnsucht sei durch die Enttäuschung bis zur Grenze des Erträglichen gesteigert. Er dachte an die Fahrt nach Ingerby, an seine Müdigkeit und sein brennendes Verlangen, an die schreckliche Enttäuschung und die Qualen der Rückfahrt nach Frankreich, an seine Hoffnungen und Wünsche, die jetzt zunichte gemacht worden waren - nicht durch die Treulosigkeit, sondern durch einen Brief, der nichts als Lügen enthielt. Er nahm die Rosen hoch und betrachtete sie, als wolle er sich ihr Bild für immer einprägen. Dann ließ er sie auf den Teppich
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