Und die Eselin sah den Engel
meiner Sichel. Mein ganzer Körper bebte, und tonlos brach ich in schallendes Gelächter aus – über ihre Dummheit. Nun bewegte ich die Sichel so, daß der silberne Lichtkreis über ihrem Kopf tanzte. Doch meine Heiterkeit war von kurzer Dauer, denn plötzlich begann sie zu sprechen. Unheimliche Worte. Und obwohl sie ihr glatt und gutgeübt von den Lippen strömten, schienen diese Worte ihr fremd, wenn nicht ihrem Mund, dann ihrem Verstand; als begreife sie selbst nicht ganz, was sie da mit zitternder Zunge sagte; als wäre sie sich zwar der Erhabenheit ihres Monologs bewußt, nicht aber des Inhalts.
Ich wurde völlig starr. Ich bekam eine verdammt heftige Blutung, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich überlegte, ob ich weglaufen sollte. Mich verstecken. Explodieren. Blut troff mir aus der Nase und platschte auf die Verandadielen zwischen meinen Füßen. Eine Flut von Blut überschwemmte mein Gesicht – meinen Kopf – und ich glaubte, mir würde der Schädel platzen, so stark war das Druckgefühl. Ich sah alles durch einen purpurroten Schleier. Neue Adern barsten unter meiner Haut. Mein Hirn tat furchtbar weh. Das Keuchen meines Atems stieg um eine Oktave, und irgendwo in der Stadt glaubte ich einen Hund bellen zu hören. Aber sie rührte sich nicht – Beth nicht –, sie drehte sich nicht um. Stattdessen sprach sie, und leise perlten ihre seltsamen Worte.
»O Gott, wie erhaben ist Dein Name.
Erhöre mein Flehen, wenn ich Dich rufe,
Wenn ich meine Hände zu Deinem heiligen Tempel erhebe.
Mit meinem ganzen Herzen habe ich Dich gesucht.
Dein Wort habe ich in meiner Brust geborgen,
Auf daß ich nicht frevle wider Dich.
Hochpreiset meine Seele den Herrn.
Ich bin Beth.
Die Bestätigung Deiner Gnade.
Nur Keuschheit und Reinheit habe ich gekannt.
Siehe, ich bin die demütige Magd des Herrn.
Ich harre der Erfüllung Deines Worts.
Ich bin bereit.
Möge der Heilige Geist über mich kommen
Und der Höchste mich überschatten,
Auf daß ich gesegnete Frucht trage,
Aus der alle Geschlechter entspringen werden.
Herr, ich harre der Erfüllung Deines Worts,
Wie es ergangen an den allerseligsten Propheten Jonas Ukulore.
Diesen Tag hat Gott geschaffen!
Deine Gerechtigkeit währet ewig!
Preiset den Herrn mit Hörnerschall.
Mit langem Leben will ich Dich zufriedenstellen
Und Dir meine Erlösung beweisen.
A-men.«
Und dann, als habe es nur das Ende ihres Gebets abgewartet, ging im Nebenzimmer ein Licht an, und ich sah Sardus’ Schatten wie ein Messer in mein Blickfeld fahren und einer dunklen Flosse gleich über den Vorhang gleiten. Ich kniff mir die Nase zu und entfloh über die Maine Road auf den Memorial Square. Unentdeckt glitt ich in die Schatten. Hielt mich unten. Und beobachtete.
Zunächst herrschte lange Zeit Stille. Dann hörte ich Beth gedämpft schluchzen. Dann weinen, aber viel lauter. Sardus Swift warf die Vordertür auf und marschierte zu dem Fenster herum, an dem ich gestanden hatte. Beth folgte ihm, und rief: »Erschreck ihn nicht, Daddy! Bitte! Er ist wegen mir gekommen!« Sardus ging in die Knie und tauchte einen Finger in einen der vielen Bluttropfen, die ich auf die Veranda hatte fallenlassen. Als nächstes gingen in den beiden Häusern links und rechts von dem Swiftschen gleichzeitig die Lichter an, und eine Sekunde später sah ich zwei ochsenhafte Matronen daraus hervortreten; sie wickelten sich noch in ihre flanellenen Nachtgewänder, während sie dem Schauplatz zustrebten. Ich erkannte sie von den Versammlungen.
Nun rannte ich über den Platz und dem Ortsrand zu, und war einigermaßen in Sicherheit, als der Aufruhr beim Swiftschen Haus sich über die Stadt auszubreiten begann. Schon konnte ich das Gekeife der beiden Nachbarinnen hören, das eine Spätsommerbrise mir an die Ohren wehte. Ich stürzte von dannen, plötzlich war der Zauber und Reiz meines Königreichs sehr stark. Sehr stark.
O Scheiße. Was? O nein. Ja? Bin wohl eingenickt. Ja, bin ich.
Voller Panik wachte ich auf, und sagte: »Das ist der letzte Tag! Das ist der letzte Tag!«
Aber das ist er nicht. Nein, ist er nicht. Da müssen noch einige vergehen. Einige müssen wir noch erledigen. Vergangenheit holt Gegenwart ein. Zeit vergehen. Zeit zu gehen …
O Scheiße. Was? O nein. Ja? Bin wohl eingenickt. Ja, bin ich.
Voller Panik wachte ich auf, und sagte: »Das ist der letzte Tag! Das ist der letzte Tag!«
Aber das ist er nicht. Nein, ist er nicht. Da müssen noch einige vergehen. Einige müssen wi …
Weitere Kostenlose Bücher