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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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abgesehen von den dampfenden Nadeln und festen Flossen, den Guillotinen und Schlachtermessern dünner Lichtstrahlen, die durch Ritzen drangen – sonnensilberne Lanzen, als wäre ich die mit einem Bikini bekleidete Assistentin irgendeines Zauberers, dessen Trick furchtbar danebengegangen war. Ja! Zuweilen sah ich mich von stählernem, schartigem, gezacktem Sonnenlicht in zwei Teile gesägt werden. Einen ganzen Nachmittag verbrachte ich damit, die größeren Ritzen mit Gips zu verschließen, aber die kleineren Spalten, Lücken und Risse, die hinterlistigen Lecks und Löcher, die zahllosen Sprünge in meiner Ritterburg ließ ich offen. Perforationen. Luftlöcher im Deckel meines Stalls. Meines Sargs.
    Wenn die Viecher könnten, würden wir miteinander reden. In dieser dumpfen Grabesstille, in dieser fauligen, eitrigen, zu Kopf steigenden und empfänglichen Luft werden eine Menge Gedankenwellen herumbewegt. Rattenschwatz und rasselndes Katzenkreischen, Schlangenzischen und Eidechsenwischeln, raspelndes Kaninchenquasseln, Hasensang und Käferklopfen – mundtotes, telepathisches Tiergelärm. Aber die sabbernden Hundegedanken – dumm, streitsüchtig, berauscht, voll übler Ausstrahlungen – Blut, Fleisch, Sex und so weiter. Lahme schielende Berghündinnen, aufgepeitscht zu immerwährender Brunst, bös und gemein werden sie, wenn sie in Kot und Stroh sich wälzen und drängen und decken und lecken und in ihren gedrungenen Kapseln herumkriechen und mit den Zähnen knirschen.
    Wenn ihr Gezappel mir zu bunt wurde, gab ich ihnen einen Schlaftrunk. Zur Beruhigung. Na schön – zur Beduselung.
    1 Teil Wasser. 1 Teil White Jesus. ½ bis 1 zerstoßene Schlaftablette. Hat immer gewirkt. Eine oder zwei Schalen davon – schön aufgeleckt –, und weg waren sie, ratzten fest wie Säuglinge. Schluß mit dem ganzen Irrsinn. Die wilden Ausstrahlungen, die Haßwellen klangen ab. Und ich saß da und hätschelte nickend diese Lumpensäcke aus drohendem Kot. Irgendwelche Zwischenstimmungen gab es nicht. Keine Pantoffeln wurden mir ans Bett gebracht. Kein Stolpern um den Block. Die Bestien lagen entweder in tiefem Koma oder sprangen einem ins Gesicht.
    Aber genau so sollten sie sein. So wollte ich es haben. So hatte Gott es eingerichtet. Dieses Rudel lüsterner Hündinnen und Mischlinge – O, sie werden ihre Chance bekommen, das wiedergutzumachen. Wie ich. Auch sie werden ihren Augenblick der Herrlichkeit haben. Und zwar sehr bald, nehme ich an, sehr bald. Laßt die schlafenden Hunde ruhig lügen. Aber glaubt ihnen kein einziges Wort. Ich bin die Wahrheit. Ich bin das Licht. Jeder Hund hat seinen Tag.
     
    Meinen hab ich jetzt. Meine Zeit ist nah. Ihr kommt zu spät, Freund Hein, Meister Sensenmann. Ich hab gesagt: Eh, Boss, nimm das Kreuz und zieh deine Wanderschuhe an. Ja, ihr habt verloren, Meister Schnitter. Der heutige Tag gehört mir! Nicht euch! Mir! Mir! Mir! Das ist mein Tag! In die Reihen der Erwählten steig ich auf und sage: »Das ist der letzte Tag! Das ist der letzte Tag! Der letzte Tag gehört mir!« Es gibt noch viele andere, Brüder. Nehmt Pickel, nehmt Hacken, nehmt euren verfluchten Galgen. Laßt diesen Tag in Ruhe. Durchsiebt all eure Vergangenheiten. Zählt nicht auf eure Zukunft. Ich seh sie kommen, und der Anblick ist nicht schön. Angst herrscht. Und Furcht. Die Nacht ist da.
     
    Im Zentrum von Hundskopf stand ein grober Bretterpalast, in dem zwölf Stufen auf einen zylindrischen, sägezähnigen Ein-Mann-Turm führten. Gestützt von acht Pfählen, trug der Turm ein achteckiges, pyramidenförmiges Dach. Und auf diesem Dach wehte die Flagge von Hundskopf.
    Die Flagge war ein Fetzen einst flauschigen, einst grauen Fells. Die Sonne hatte den Pelz versengt und hart gemacht, so daß er entrollt etwa so groß war wie eine geöffnete Männerhand. Die behaarte Seite war vom Wetter gegerbt, der graue Flausch schmutzig und mit dunkelbraunem Dreck verklumpt. Die Haut auf der anderen Seite war verdorrt und orange. Die Flagge war mit einem Strumpf, der durch eine Reihe kleiner, in eine Seite der Haut gebohrter Löcher gezogen war, an der Stange befestigt. An einer Ecke der Flagge hing noch ein Bein mit einer winzigen Pfote von der Größe eines Frauenfingers.
    Zu beiden Seiten des mit Stahlgittern gesicherten Haupteingangs zu dem Königreich hingen zwei weitere solcher Flaggen; und nochmals drei – nicht präpariert, nicht gehäutet, in einem Zustand fortgeschrittener Verwesung – hingen an einem Nagel an der Rückwand der

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