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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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zu ermessen. Ich hab mich bemüht, meine Untertanen so oft zu füttern, wie ich daran dachte, und die meisten sind am Leben geblieben – nur daß sie Tag für Tag ein bißchen verrückter aussahen. Ich meine, ihr hättet mal sehen sollen, wie blutrünstig die Hunde wurden, wenn ich beschloß, sie mit einem Stück lebendigen Fleischs zu belohnen! Binnen Sekunden waren Zwinger und Hund mit Blut und dampfenden Knochen bedeckt und das quiekende Rattenvieh mitsamt Schädel und allem runtergeschlungen. Und das blutverschmierte Gesicht des nimmersatten Raubtiers zerrte an der Drahtfront des Käfigs und heulte nach mehr.
    Manchmal wartete ich in meinem Turm, das Teleskop auf ihr dunkles schlafendes Haus gerichtet. Ich wartete auf ihr Zeichen. Und gegen Mitternacht ging denn auch jedesmal das Licht in ihrem Fenster an und ergoß sich klebrig und gelb auf die Veranda. Und dann begab ich mich runter.
    Nachdem ich die Regelmäßigkeit ihrer mitternächtlichen Wachen erkannt hatte, fand ich mich unter den Myriaden Schatten des Memorial Square häufig auf Posten ein – kauerte dort in schlafloser Erregung, während mein Herz das Blut zu einem rasenden Klopfen pumpte, als würde es von einer randalierenden Sklaventrommel angetrieben, die den schlafenden Ort auf mein verbotenes Unternehmen aufmerksam zu machen drohte. Eulenschreie, Mondgrübeleien, Grillenschrillen, Schattenhuschen und das Knistern des Radars der Fledermäuse – dies waren die mageren Trostmittel, die beim Schließen des Tages ausgesperrt worden waren.
    Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich den Mut aufbrachte, mich direkt unter ihrem Fenster zu postieren; doch Schritt für Schritt, Nacht für Nacht wagte ich mich näher heran. Schließlich gelang es mir, barfuß auf ihre Veranda zu schleichen, wo ich dann, verborgen im Schatten der Hecke oder an die Wandverkleidung gedrückt, mit gespitzten Ohren an ihrem Fenster lauerte und auf das Knarren der Bettfedern und das Rascheln des gestärkten Bettzeugs wartete, das dem Aufflackern der Lampe voranzugehen pflegte. Und wenn dann der Block klebrigen Lichts auf die Veranda fiel, spähte ich hinein. Sie saß in ihrem weißen Nachthemd auf dem Bett, die Beine mit jener stillen Ungezwungenheit über die Bettkante geworfen, die so sehr an ihre Mutter erinnerte, wie auch sonst alles, was sie tat. Den Kopf geneigt wie im Gebet, den Rücken zum Fenster. Immer blieb sie vom Fenster abgewandt. Ihr Zimmer barst von dottergelbem Licht.
    Und da saß sie nun, und da stand ich nun, wir beide sprachlos, aber eingeschlossen in einen Kokon erwartungsvollen Schweigens. Zuweilen stieß sie ein müdes Seufzen aus oder unterdrückte ein Gähnen – und ich, den betressten Arm vom Licht aus dem Fenster zerschnitten, halb beleuchtet, halb nicht, ich hatte schrecklich zu kämpfen mit meinem Gekeuche und dem Hämmern meines Bluts.
    Jetzt fällt mir auf, wie ähnlich meine Erregung beim Belauschen der Nachtwachen dieses Kindes derjenigen war, die ich vor über einem Jahrzehnt erlebte, als ich mein Gesicht an ein gewisses Fenster eines gewissen rosa Wohnwagens auf Hooper’s Hill drückte und die reizenden wollüstigen Rituale des Hurentums belauerte. Wie ähnlich, und doch wie so ganz anders. Aber wie überaus wichtig waren sie beide für Seinen größeren Plan.
    Und die Zeit verging. Meine mit Beobachten. Ihre mit Warten.
    Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Etwas wirklich Merkwürdiges. Hört nur. Eines Nachts erstrahlte ein Ring weißen Lichts an der Wand über Beths Kopf und schwebte dort wie ein Heiligenschein. Beth stöhnte auf, als sie ihn sah, und schien unter seinem hüpfenden Glanz zu erstarren. Ich reckte den Hals, um diese prophetische Erscheinung besser in den Blick zu bekommen – dies perlglimmernde Gaukelwerk – dies ungebetene Dritte. Ich rückte näher, und in diesem Augenblick schien das Licht auf den Boden zu fallen und verschwand. Ich wich zurück, und der Spuk sprang wieder auf seinen Platz an der Wand und tanzte über ihrem Kopf. »Es weiß, daß ich da bin, und hat Angst vor mir«, dachte ich, und wieder versuchte ich es mir genauer anzusehen, und wieder verschwand der magische Kreis. Ich schaukelte vor und zurück, und sah ihn kommen und gehen. Beth schien bestürzt ob dieser strahlenden aber nervösen ätherischen Erscheinung, und mir ging es nicht anders, bis ich ihrem Ursprung auf die Schliche kam. Was da mit jeder meiner Bewegungen auf und ab fuhr, war das Licht der Lampe, zurückgeworfen vom gleißenden Bogen

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