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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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meiner Tiere, Wärter, Betreuer, Fallensteller und Trainer, Krankenschwester und Kindermädchen, Seelendoktor und Wundarzt, hab ich’s gemeistert. O ja. Durch reine Willenskraft ist es mir gelungen. Es wäre aber ein großer Fehler, wenn man nun dächte, ich hätte meine ganze Zeit, versunken in häuslichen Pflichten, in den Grenzen meines Königreichs verbracht. Oftmals – unzählige Male – hab ich die Ost- und Westhänge abgeklappert, Fallen aufgestellt oder Beute eingesackt, oder bin in den Vorhügeln herumgelaufen und auf die Bäume geklettert, die zu beiden Seiten des Tals wuchsen. Hab oben in diesen Bäumen gesessen und nachgedacht. Und hab den prahlenden und drangsalierenden Predigern in meinem Kopf gelauscht. Und ich hab Pirschgänge bei Nacht und Einbrüche bei Tag in abgelegene Häuser unternommen – bloß um aus der Küche ein paar Pfirsichbüchsen oder aus dem Schuppen einen Kanister Petroleum zu stehlen. Und dann gab es noch die Silos auf Hooper’s Hill und die drei großen Werkzeugschuppen drüben bei der Raffinerie, in denen die unglaublichsten Dinge zu finden waren. Die unglaublichsten Dinge. Ich glaube, denen hab ich unzählige Besuche abgestattet, weiß nicht mehr so genau. Aber um die Wahrheit zu sagen, die meiste Zeit außerhalb der Festung hab ich mich einfach auf die Lauer gelegt und das Leben anderer Leute beobachtet.
    Und sie. Sie hab ich oft beobachtet.
    Das Findelkind, das die Stadtleute als ihr Eigentum betrachteten. Das Kind, das die Ukuliten praktisch heiliggesprochen haben. Das Mädchen, das, wie sie sagen, den Zorn des Himmels besänftigt hat. Das kleine Mädchen, das ihnen die Sonne gebracht hat. Gottes Geschenk an die Bußfertigen. Das Wunder. Beth.
    Beth hab ich oft beobachtet. Aber hab ich euch eigentlich schon von meinen Einbrüchen erzählt?
     
    Wurde Beth den Ukuliten lediglich zum Zeichen für das Ende ihrer Züchtigung geschenkt? Oder diente Beths Anwesenheit im Tal noch einem größeren Zweck? Als das Kind älter wurde, gab es viele Frauen unter den Ukuliten, die für Beths Dasein noch einen anderen Grund zu vermuten pflegten, einen Zweck mit großen und weitreichenden Folgen.
    Oft schlich ich mit einem Jutesack über der Schulter ins Tal runter.
     
    Da Beths Wohlergehen das wichtigste im Leben der Ukuliten war, und da die Fürsorge für das kleine Mädchen Frauenarbeit war, sah Sardus sein Kind immer weiter seinem Einfluß entzogen. Tatsächlich wurde die ganze Sekte der Ukuliten, ob sie es merkten oder nicht, rapide zu einer totalen Gynäkokratie, beherrscht von einer Schar abergläubischer, gerüchtegeiler Vetteln, alten Jungfern und Witwen. Sie gingen sogar so weit, an frühen Nachmittagen heimliche Treffen abzuhalten, um über Beth zu debattieren. Und später dann, um über Beths Vorbereitung zu diskutieren.
     
    Ich klaute mich durch ihre Küchen – eine Dose Cornedbeef hier, einen halben Käse da, frische Eier dort. Manchmal stahl ich auch was aus Schlafzimmern – nur Kleinigkeiten, kein Geld, nur Kleinigkeiten, wie etwa ein Photo von dem, bei dem ich grade einbrach, oder Nagelscheren oder Stricknadeln und sowas. Und ich versuchte, wenn es ging, ihre Haustiere mitzunehmen – aber das ist harte Arbeit und dauert eine Weile. Einmal hab ich einen Strumpf voll flauschig grauer Kätzchen geklaut. Möcht wissen, was … verdammt!
     
    Schon bald beschlossen die Vetteln, daß Beth am einen oder anderen ihrer Treffen teilnehmen sollte, denn es gab einiges, was sie wissen mußte, einiges, was sie erfahren mußte. Völlig verängstigt schwor Beth auf die Bibel, Sardus nie etwas von diesen Versammlungen zu erzählen.
     
    Aber am liebsten hab ich sie beobachtet.
    Einmal hab ich ein Nachmittagstreffen der Frauen belauscht. Es war Ende Frühjahr, glaub ich, und verdammt heiß. Beth war auch da.
    Ich kauerte in einem Geranienbeet unter dem Wohnzimmerfenster, das ein paar Fingerbreit offenstand. Beth saß in einem schwarzen Ledersessel, abseits des Kreises nickender plappernder Köpfe. Sie war tief in den Sessel gerutscht, ihre Hüften standen hochgebogen, und sie hatte die jungen mißfarbenen Beine nach vorne geschoben, so daß die Brise vom Fenster über ihren feuchten flaumigen Glanz streichen konnte. Ihre dünnen Arme baumelten unbekümmert über die beiden Lehnen des Sessels. Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf zur Seite gelegt, als ob sie schliefe; doch hörte sie zu. O ja, sie hörte zu.
    Auf quietschenden Gummisohlen kam, ohne mich zu bemerken, ein

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