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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Vergangenheit hol … Zeit vergehen. Ja, es ist Zeit zu gehen …
     
    Ich hab in der Hütte eine Grube gegraben. An der Westwand. Hatte eine Menge Schlangen gefangen – zu viele, um sie in Einzelkäfigen zu verwahren. Also hab ich eine Grube ausgehoben und den Rand mit nach unten abgeschrägten Blechstücken bewehrt, um die Schlangen am Rauskriechen zu hindern. Die Schlangengrube faszinierte mich eine ganze Weile. Oft und lange stand ich davor, beobachtete das tödliche Gekringel und merkte mir, wie sich das da wand. Gelegentlich hielt ich eine Ratte oder einen Hamster darüber und sah zu, wie der verknotete Knäuel hochstieg und nach dem zappelnden quiekenden Viehzeug schnappte. Wenn es einmal nicht quiekte, gab ich mir alle Mühe, es zu retten, um es in meine Reihen zu stellen. Machtvolle Reihen.
     
    Wieherndes Gelächter von Rabenvögeln schreckte mich eines Morgens in meinem Turm aus dem Schlaf.
    Instinktiv lud ich meine Schleuder und jagte einen halben Ziegelstein in Richtung der gräßlichen Radaubrüder. Der Stein krachte an den Stamm des Galgenbaums, und mit einem letzten simultanen Aufschrei sprangen die vier öligen Krähen in die Luft und keckerten davon. »Scheißviecher«, wollte ich schreien. Ich wollte schreien.
    Ich setzte mich wieder, und sah dann vorsichtig durch mein Teleskop. Beths Haus. Beths Haus. Beths Haus. Es war auf Beths Haus eingestellt. Wie schon oftmals zuvor, war ich beim Warten auf ihr Zeichen eingeschlafen. Ich spürte, wie es das Teleskop zum Memorial Square zog – zu dem Spielplatz auf dem Memorial Square.
    Der Spielplatz, falls man das so nennen kann, bestand aus einer Schaukel, einer Wippe und einem Sandkasten. Sonst nichts. Erbaut wurde er in dem Jahr vor Pas Hinscheiden. Eine Ukulitin war gestorben und hatte ein Vermächtnis hinterlassen; und es muß schon erbärmlich wenig gewesen sein. Dennoch erkaufte sie sich damit eine Messingtafel und die Gewißheit, daß ihr Name tief in die randvollen Seiten der Ewigkeit eingegraben werde – zusammen mit denen Millionen anderer Schreckschrauben und Saftsäcke, die ihre kümmerlichen Ersparnisse testamentarisch irgendeiner Stiftung vermachen, damit ihr jämmerliches Leben wenigstens auf einer Parkbank, einem Pferdetrog oder einem Zaunpfahl eine Spur hinterlasse. »Zum steten Gedenken«, wenn ich mich recht erinnere, »Miss Eartha Pylons Gedächtnis-Spielplatz, Südwest-Ecke des Jonas Ukulore Memorial Square, Maine Street, Tal des Todes, in tiefer Trauer«. Ich meine, dieser Spielplatz – was ist das? Ein gottverdammter Skandal, das ist es. Zwei krumme Pfosten, sechs Meter Kette, ein Brett und eine Kiste voll Erde. O danke, vielen Dank, Myrna! Schäm dich, Martha!
    Ich meine, wenn’s kein Hundehaufen ist, dann eben eine Messingtafel. Die kriegen dich immer. Mein Blut schaudert, wenn ich an all die aufgeschlagenen Schienbeine, aufgeschürften Knie, aufgerissenen Zehen und blutigen Nasen denke – an all die freien Fälle, jähen Stürze, Not-, Bruch- und Arschlandungen – an all die Bauchplatscher, Hechtsprünge, Landattacken, Gassenstürze, Zusammenstöße und Karambolagen – die beißenden Tränen der Scham, der Wut, der Niederlage – all das verdammte Hohn- und Spottgelächter – all das erlebt und immer wieder erlebt, nur weil es diese hinterhältigen Ehrentafeln gibt. Zum steten Gedenken. Ma’m, Sir, mein Hirn sprudelt, Drüsen laufen aus, und mir wird kalt. Schrecklich kalt.
    Es sei fern von mir, weiter so ungebührlich herumzuschimpfen, aber zeigt mir ein freistehendes Gebilde, und ich zeig euch die Gedenktafel daran. Ich meine, um Gottes willen, in dieser Stadt kann man nichts aufstellen, ohne daß irgendein klebriger Kadaver es gleich mit einem Seil abtrennt und ein Gedenkschild darunter klatscht. Diese Stadt gehört einem Haufen Leichen. Diese Stadt wird aus Gräbern versorgt – aus den Vermächtnissen der Toten. Ihre Fundamente liegen, in weißes Leinen gewickelt, sechs Fuß tief im Boden in Brettersärgen. Ich krieg das heulende Elend, wenn ich nur daran denke.
    Warum meine Erinnerung ausgerechnet diesen Morgen mit solcher Heftigkeit umarmt, weiß ich nicht. Gott allein weiß es, aber wenn ich daran denke, schaudern meine sämtlichen Sinne. Schaudern? Herrgott! Sie schlagen ungeheuren Krach! Ich würge. Ja. Mir schwindelt. Mir ist kotzschlecht. Ich hab Ohrensausen, Juckreiz, Schmerzen. Alles Scheiße, ich bin am Versinken, irrt euch da nicht. Müllgrube der Erinnerung. Ja, das ist es. Wahrlich ein fetter Kuhfladen

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