Und die Eselin sah den Engel
den Bauch und fiel an die Lehne zurück. »Scheiße … Kopf … Magen … Hals … Gib mir die Flasche, Junge … Hals … ganz zu … Was, schon leer? Alles weg? Jedenfalls hab ich ihn angeschrien: ›Pooooe! Du weißt, wovon ich rede. Der Brief! Dieses Todesurteil! Wie konntest du nur, Poe? Und das, nachdem ich sie mit dir geteilt hab. Du hast gesehen, was die mit Queenie gemacht haben. Geh nich mit einer Lüge auf den Lippen, Poe. Sag mir die Wahrheit, Poe. Die Wahrheit. Oder ich schwöre, ich stopf dir diesen verfluchten Brief mitten ins Gesicht … ‹
Er schlägt ein sterbendes Auge auf.
Nur ’n bißchen, und dann … nach zwanzig Sekunden, vleicht dreißig … sagt er … ganz leise, ganz langsam, ganz deutlich: ›Kike, neeeiiin … Du machst einen furchtbaren Fehler, Kike.‹
Und ich: ›Genau wie du, Poe. Bis bald, Prediger, wir sehn uns bei der Auferstehung.‹ Und knall ihm meine rechte Faust ins Gesicht.«
Kike brauchte viel länger, um abzutreten, als ich gedacht hatte. Kike war nicht ein sehr großer Mann – sondern ein sehr großes Tier, aber das machte mir keine Sorgen. Ich hatte genug Gift in den White Jesus getan, um ein Mammut aus den Latschen zu hauen.
Kike versuchte aufzustehen, verlor aber das Gleichgewicht und klappte wie ein Pack Spielkarten an der Bank zusammen. Seine Stimme war nur noch ein zittriges Krächzen, doch konnte ich darin Verwirrung ebenso hören wie panische Angst – erstere abnehmend, letztere zunehmend.
»… versteh das nich. Leugnet alles ab. Wo er ganz klar der einzige ist, der das getan haben kann … Scheiße. Fühl mich plötzlich ganz krank, verdammt … ja, und dann schlepp ich seine Leiche raus und leg ihn unter … die … Kirche …« Und sein Gebrabbel brach ab, und er klemmte sich die Arme um den Bauch und schwankte hin und her.
Plötzlich sprang er bizarr auf die Beine, schrie wie ein Vogel, sackte wieder auf der Bank zusammen und erbrach einen Strom Blut und Galle in seinen Schoß. Er starrte den gesprenkelten Auswurf an, murmelte und machte Blasen. Vielleicht war das seine Art, sich für sein Benehmen zu entschuldigen. Das Geräusch der Fahrzeuge, die den Ruhmes-Pfad zur Kirche hochkamen, schien er nicht wahrzunehmen.
Auf dieses Geräusch hatte ich gewartet. Das Signal. Zeit, ernstzumachen, dachte ich. Zeit, ernstzumachen.
Seine Aufmerksamkeit – er war vornübergekrümmt und heulte – erlangte ich, indem ich ihn so zurechtstieß, daß er aufrecht in der Bankecke hing; der Kopf baumelte auf seinem Stiernacken herum. Ich stellte die Flasche ab und zog eine Bibel aus meiner hinteren Hosentasche. Er beobachtete mich aus ganz unheimlichen, vorquellenden Augen. Über Gesicht und Hals hatte sich ein häßlicher roter Ausschlag ausgebreitet.
Ich knallte ihm die Bibel flach ins Gesicht. Das Tier begeiferte das Buch mit Kotze. Und während er mich ungläubig anstierte, blätterte ich flink in den stockfleckigen Seiten des Alten Testaments herum. Genesis. Exodus. Das wunderbare Buch Leviticus. Numeri. Ja, Numeri. Kapitel 35. Verse 18 und 19.
Ich zog einen roten Stift aus meiner Latztasche. Frisch gespitzt. Ich warf Kike ein kurzes breites Lächeln zu, sah ihm in die Augen und leckte an der Spitze des Bleistifts.
Wieder bebte Kike heftig auf, doch bei allem Lärm, den er dabei veranstaltete, kam enttäuschend wenig dabei heraus – nur ein kleiner Schwall wässrigen Bluts, das über seine Unterlippe schwappte und in roten Fäden vom Kinn runtertroff.
Er blieb in seiner Ecke und sah mir zu. Den Mund weit offen. Reglos.
Ich unterstrich die passenden Verse und schrieb dann mit dicken Blockbuchstaben etwas darüber und auch etwas darunter, so daß das Ganze so aussah:
KANNST DU DAS LESEN, KIKE?
18. Oder wenn er ihn mit der Hand
derart schlug, daß er starb,
dann ist er ein Mörder;
der Mörder muß mit dem Tode bestraft werden.
HA HA HA HA HA HA HA
REDE NICHTS BÖSES
Ich nahm seine großen fleischigen Hände und packte sie um die Bibel, und Kike ließ den Kopf sinken und starrte benommen auf die Seiten. Die Flecke auf seinem Gesicht und Hals hatten eine gespenstische Traubenfarbe angenommen. Blutige Speichelfäden troffen baumelnd herab und unterstrichen den prophetischen Sinn der ominösen Seiten.
Ich hörte, wie die Fahrzeuge – zwei, drei, vier – schleudernd im Kies vor der Kirche zum Stehen kamen. Ich hörte das Prasseln eines Funksprechgeräts, und wußte, die Ukuliten hatten die Nachricht, die ich an die Tür des Bethauses
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