Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
geheftet hatte, ernstgenommen. Ich hörte, wie sie das kleine Lattentor aufbrachen, um unter die Kirche zu kommen. Sie würden Poes Leiche finden und wissen, daß auch der Rest meiner Botschaft zutreffen mußte, und wenige Minuten später würden sie auf der Suche nach dem Mörder in die Kirche gestürmt kommen.
    »Mach schon, Kike. Kapier’s. Komm dahinter, Idiot. Es ist aus mit dir, Hurenbock. Mit dir ist es aus. Du und Poe und Queenie. Aus und vorbei«, dachte ich.
    Endlich hob Kike sein großes fleckiges Gesicht; die Augen verdreht, vergiftet. Er flennte und schrie und plärrte, und ich schwang die leere Flasche wie eine Keule, ließ sie auf sein Nasenbein krachen und erledigte ihn mit einem Schlag.
    Ich sah ihn mir an, wie er zusammengesunken an der Lehne hing, ganz mit Kotze bekleckert und vollkommen still, und ich dachte: »Du bist ein Esel, Kike, du bist ein Esel.« Dann verpaßte ich ihm noch eins mit der Flasche.
    Ich zog ihm die Bibel aus den Händen und riß rasch die verräterischen Seiten raus, griff dann in die Tasche seines Mantels und nahm meinen ersten Brief wieder an mich – den, den ich den Feldarbeitern zugespielt hatte –, den Brief, in dem die Arbeiter aufgefordert wurden, zur Kirche zu kommen. Ich steckte alles in meine Taschen und verschwand im Anbau, gerade als der aus Davenport geholte Sheriff und seine zwei Hilfssheriffs den Haupteingang einzuschlagen anfingen.
    »Verdammt noch mal, nehmt doch die Klinke«, dachte ich, als ich aus dem Nebeneingang schlüpfte und durch das hohe Gras den Hügel runterschlich, »ist doch nicht abgeschlossen.«
    Auf dem ganzen Heimweg lächelte ich. Konnte das einfach nicht loswerden.
    Rings umher die verkohlten schwarzen Felder. Zuckerrohr, abgehackt und aufgestapelt, das auf den Transport zur Raffinerie wartete.
    Später, als alle wieder weg waren, ging ich zurück und setzte mich in die Kirche. Ich schloß die Augen und sonnte mich einfach in dem Wissen, daß ich Gott gedient hatte – sogar ohne auf den Auftrag gewartet zu haben. Ja, ich hatte meinem Herrn gedient, und das war an sich schon Belohnung genug. In einer Welt voller Wucherer war das Geben etwas Schönes. Wahrlich, die Sanftmütigen werden das Land besitzen. Ich schloß auf der Stelle einen Pakt mit mir, dieses geweihte Gebäude zu bewahren, alle Eindringlinge von diesem Tempel des Herrn fernzuhalten. Und als ich so da saß, gedemütigt von der Größe und Stille dieses Hauses, konnte ich spüren, daß Gott bei mir war, neben mir, überall um mich her und tief in mir drin. Und bald sangen die Seraphim und erfüllten den großen Raum mit ihrer Musik. Und sie sangen für mich. Und sie sangen für mich.
    Zwei Tage später brannten die Ukuliten die Kirche nieder.
     
    Und ich rannte weiter. Und rannte weiter. Und rannte weiter.
    Und ich wußte, ich floh vor denselben Fäusten, die Queenie niedergeschlagen hatten. Und rannte weiter.
    Ich wußte, wenn sie mich einholten, war ich so gut wie tot. Über das Ausmaß an Gewalt, das sie mir zumessen würden, gab ich mich keinen Illusionen hin. Ich fragte mich, ob die Flanken des Tals hinreichen würden, meine vielen verstreuten Teile aufzunehmen. Und rannte weiter. Entsetzen der Motor. Angst am Steuer.
    Als ich an einem Streifen Grün entlanghastete, sah ich, sich unter einem weißen Lattenzaun durchwühlend, die Schnauze eines kleinen Hundes oder Frettchens. Dann schoß das geschmeidige Wesen auf die Straße, und ich spürte, wie es hinter meinen Fersen vorbeihuschte und im Dunkel auf der anderen Seite verschwand.
    An einer Stelle wurde der galoppierende Boden unter meinen Füßen plötzlich ganz schwammig, und ich stürzte wohl irgendwie hin, kann mich aber nicht erin … will euch die Einzelheiten ersparen. Jedenfalls bin ich auf dem Bauch gelandet, die Innenseiten meiner ausgestreckten Hände sauber enthäutet und mit rotem Staub gepudert. Hab ich euch eigentlich von meinen Hunden erzählt? Ja? Hab ich euch je von meinen Hunden erzählt, und was die mit einem Hamster anstellen konnten? Hab ich? Meine Hunde konnten einen Hamster in Atome zerlegen!
    Ich wartete darauf, in Atome zerlegt zu werden. Auseinandergenommen, zerfetzt und zertrampelt zu werden.
    Ich hörte Schritte auf mich zukommen. Mein ganzer Körper erbebte davon. Bumm-bumm bumm-bumm bumm-bumm bumm-bumm. Ich drehte mich um, aber der Mob war weg. Nein. Nicht weg – hatte sich versteckt. Ich drehte mich um, aber der Mob hatte sich versteckt. Hinter mir streckte sich die lange Straße leer

Weitere Kostenlose Bücher