Und die Eselin sah den Engel
Geschick des Predigers auf den stockbesoffenen Riesen zu übertragen.
»Wasch’s mir ab!« grölte er.
Mit übertriebener Gebärde stand Kike auf, versuchte sich mit einem lässigen Schwenk die Flasche an den Hals zu setzen, verhedderte sich dabei in seinem Mantel und krachte wie eine gefällte Kiefer auf den Boden, mitten rein auf das Polster aus leeren Flaschen, Keksschachteln, Rattendreck und Schutt. In seinen Mantel gefesselt, die Arme an den Körper gepreßt, sah er mit Tränen in den Augen zu mir auf und öffnete seinen großen Mund, so daß ein paar einsame Backenzähne und eine geschwollene grüne Zunge zum Vorschein kamen. Er begann zu lachen. Hatte eindeutig den Verstand verloren, so wie er da lachte. Und lachte weiter.
Ich hockte auf der Bank und sah auf dieses zuckende und zappelnde Wesen zu meinen Füßen hinunter – eine brüllende, blutverschmierte Puppe.
Ein Lächeln zog an meinen Mundwinkeln, und ich riß den Mund weit auf und zeigte der auf dem Boden herumruckenden Puppe alle meine sechsundvierzig Zähne. Ich spürte, wie auch meine Bauchmuskeln sich einkrampften, aber diese Zuckungen waren wie üblich von kurzer Dauer, denn in der Welt des Stummen sind die Wonnen der Heiterkeit ebenso dünn gesät wie die Anlässe dazu. Oder hab ich euch das noch nicht gesagt?
Löwenmäulig wie ein granitener Wasserspeier hockte ich auf der Eichenbank und suchte seine Augen immer wieder mit meinen, während die Lachsalven allmählich zu weniger übertriebenen Äußerungen noch verbliebener Heiterkeit abklangen – sein dummes gelbes Gesicht zuckte vor kleinen Schmerzen – eine Fratze, ein Zittern, eine Grimasse seiner erbleichenden Lippen. Kike sah ein bißchen grün aus. Ich hockte. Ich sah ihm zu. Ich wartete.
Und dann lachte Kike gar nicht mehr. Von der Fessel verdrehten Filzes befreit, öffnete sich der schmutzige Kokon zu schlaffen vollgeschissenen Flügeln, und ein frischgeschlüpfter Schmetterling flatterte unbeholfen auf die Füße und plumpste auf die Bank. Die schweren bestiefelten Beine ragten quer in den Gang.
»Rede-nichts-Böses, hörst du mich?« sagte er. »Hörst du mich, Rede-nichts-Böses?«
Ich stand inzwischen – das Kräfteverhältnis hatte sich noch mehr verschoben –, so daß ich weiterhin im Vorteil war, falls die Stimmung sich verfinstern oder die Bestie nach mir schnappen oder sonstwie alles außer Kontrolle geraten sollte. Ich sah auf Kike hinab. Hielt die Flasche Zentimeter vor seine greifende Hand, so daß er gezwungen war, sich mühsam danach zu strecken, wenn er sie haben wollte – aber nur ein bißchen – ich hatte nicht vor, ihn jetzt schon aufzuklären.
Er nahm einen Schluck, ohne daß unsere Blicke sich losließen. Seine Hände waren mit schwarzem Blut überkrustet, und auf jedem aufgeschürften Knöchel saß ein böser Eiterpfropf.
Kalter Schweiß perlte von seiner fleischigen Oberlippe und rann über seine gefurchte Stirn, und hinterließ schmale Spuren im Weinrot unter seinen Augen. So auf der Bank hingestreckt, sah er aus wie ein ganz beschissener, gar nicht komischer Clown.
Kike stieß ein langes leises Stöhnen aus.
»Muß dir was sagen, Rede-nichts-Böses. Es ist Gerechtigkeit geworden. Queenie kann in Ruhe schlafen. Die Waage ist wieder im Gleichgewicht. Abie Poe haben wir zum letztenmal gesehn. War mein Freund. Aber hör zu. Daß er diesen Zettel ins Arbeitslager gebracht hat, war unverzeihlich – nick nur, wenn du mir zustimmst, Junge. Hab ihn gebeten, die Sache zuzugeben, und als er nich wollte, hab ich ihn geschlagen. Ja. Hab ihn zusammengeschlagen. Hab ihn immer wieder danach gefragt. Wollte einfach nicht gestehen. War … ja das war, als hätt er wirklich geglaubt, er hätt das nicht getan.«
Kike zerrte am Kragen seines Mantels herum, um seinem Hals ein wenig Luft zu verschaffen. Er tupfte sich die Stirn mit seinem Ärmel ab. »Krieg nich so richtig Luft … Scheiße … Schwitz wie ’ne gesengte Sau … Gim mir die Flasche, Junge … Hab Bauchschmerzen … wo war ich? Ja. Also ich steh über ihm und halt ihm diesen Scheißzettel vor die Augen, und sag: ›Bring mich nich dazu, dich zu töten, Poe. Bitte …‹ Die Nase hängt ihm nur noch an einem Faden aus’m Gesicht, ich kann diesem bekloppten Bastard direkt in den Hals sehen. Und verdammich, der wagt es, mir in die Augen zu sehen und sagt durch einen Mundvoll Zähne: ›Töte mich, Kike … und möge der Herr dir verzeihen … Aber ich weiß nich, wovon du redest.‹«
Kike hielt sich
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