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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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ich mir. Du kannst nich lesen. Hätt dir auch nich ähnlich gesehen. Hab ich mir gedacht. Wenn du diesen Zettel nich geschrieben hast und ich ihn nicht geschrieben hab, dann muß es der Prediger gewesen sein …«
    Der Prediger? Welcher Prediger? Mein Herz hämmerte. Kopfhaut zog sich zusammen. Brechreiz.
    »Sieh ihn dir an. Er ist verrückt«, fuhr Kike fort. »War früher mal der Prediger an dieser Kirche hier. Weißt du nicht? Abie Poe. Wurde mal von den Fanatikern hier als Erlöser begrüßt. Hat Zuckerrohrwedel genommen und seinem Hengst vor die Hufe gelegt. Hat Bilder nach seinem Bilde gemacht. Nach seinem Bilde! Erlöser? Scheiße! War ‘n Betrüger. Ein Hai. Oder noch schlimmer. Soll angeblich auf Hooper’s Hill ’ne Hexe verbrannt haben. Hab’s nie geglaubt. Aber jetzt wohl. Das is ‘n mieser Kerl, und hat ‘n gefährlichen Hau. Pervers. Ich hab Mitleid mit ihm, aber verzeihen kann ich ihm nicht. Hat Queenie umgebracht. So gut wie. Dieser Zettel könnte ihr Todesurteil gewesen sein. Und meins auch um ein Haar! Kann ich ihm nicht verzeihen. Nein. Und wenn er auf den Knien rumrutscht, bis sie blutig sind, das verzeih ich ihm nicht.«
    Kike sah mich an, und ich sah zurück. Kike wollte mir vertrauen. Und ich wollte ihm den verdammten Schädel eintreten.
    »Rede-nichts-Böses«, sagte Kike, jedes Wort langsam und klar aussprechend. »Du hast noch gar keinen richtigen Namen, Rede-nichts-Böses. Von jetzt ab nenn ich dich Rede-nichts-Böses. Wie findest du das, Rede-nichts-Böses?« Zur Antwort hätte ich ihn am liebsten vollgekotzt und dann gesagt: »Prima, Kike. Gefällt mir. Und wie findest du das?« Aber es gelang mir, ihn anzulächeln, denn ich wußte, er würde nicht mehr allzu oft Gelegenheit haben, mich wie auch immer anzureden, wenn alles weiter zu meinen Gunsten verlief.
    Ich sah mir den Krüppel an. Den Lahmen. Poe! Ein Frösteln überlief meinen Nacken, und auf meinen Armen sträubte sich eine Gänsehaut. Aber ich blieb ruhig.
    Wißt ihr, wenn ich jetzt so daran denke, glaub ich, ich hab schon immer gewußt, daß dieser Krüppel Poe war. Welcher normale verkrüppelte Penner würde denn schon einen solchen allumfassenden und hartnäckigen Haß entwickeln? Ich jedenfalls bin nicht der Typ, der mit einem Haß auf alle anderen durch die Gegend läuft.
    »Das war einfach nicht richtig von ihm, diesen Zettel zu schreiben, Rede-nichts-Böses. Einfach nicht richtig. Diese ganze Predigerei und dieses ekstatische Getue, das war doch bloß ‘n Haufen Jauche. Ne verdammte Heuchelei. Und er hat meine Queenie umgebracht. Das laß ich ihm nich durchgehen. Aber du solltest solange abhauen. Wird hier bald ‘ne häßliche Szene geben. Verpiß dich lieber – und bring mir heut abend ‘ne Flasche vorbei.«
    Kike wandte sich wieder Poe zu, und als ich aus der Kirche trat, hörte ich seine Stimme losdröhnen.
    »Sing nur, Prediger, sing nur schön. Ist deine letzte Predigt. Kannst du dem Teufel weitersagen. Zeit, vor deinen Schöpfer zu treten!«
    Später am Abend kam ich mit einer Flasche zurück. Kike war schon voll und hing, halb liegend, halb sitzend auf einer Kirchenbank. Als ich mich durch den Gang in seine Nähe wagte, erkannte ich Kike als das, was er war – ein gemeines Tier – ein Schuft in einem verlausten grünen Mantel – ein großer grunzender Grizzly mit Blut auf Gesicht und Händen – ein Bastard übelster Sorte – ein Flohsack – Abschaum – ein Scheißhaufen. Ich gab ihm die Flasche, und er machte sie auf und nahm einen langen versoffenen Zug. Er knallte die Flasche auf die Eichenbank, ruckte ein wenig hoch, stieß einen ranzigen Rülpser aus und gröhlte scheinbar ohne jeden An laß: »Gottverdammte Scheiße. Blaaah. Oaaach. Scheiße.« Dann ließ er einen schallenden Flatterfurz, fluchte noch einmal und begann seine blutigen Hände zu untersuchen. Theatralisch stieß er sie mir entgegen.
    »Das Blut. Geht nich ab. Frag mich, ob es noch jemals abgeht«, sagte er mit lautem Flüstern. Dann fuhr er mit seinen verräterischen Zehn – seinen Fingern – an der Vorderseite seines Mantels runter. Durchnäßt von dem schokoladefarbenen Blut, schien der schwammige Filzstoff des Mantels mehr Blut abzugeben als er aufzunehmen bereit war, und Kike untersuchte seine klebrigen roten Griffel ein zweites Mal.
    »Das Weihwasser! Wir werden dieses störrische Blut abwaschen!« brüllte er mit dramatischem Tremolo, als reichte die bloße Befleckung mit Poes Blut schon aus, das ganze schauspielerische

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