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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Sal stellte.
    »Diese stumme Sau«, zischte Sal vor sich hin.
    Dann wieder Schweigen, diesmal allerdings länger. Lichtstrahlen suchten.
    »Wo ist Groper und … äh … wie heißt er noch … der Junge?« fragte Prong.
    »Chisolm oder Prism oder Jism … was weiß ich … die sehen mal unter der Brücke nach. Wir sollten hier abhauen. Mit dieser Scheißlampe seh ich sowieso nichts. Wahrscheinlich ist er schon längst über alle Berge. Warum macht dieser Swift seine Menschenjagd eigentlich nich alleine?«
    Am anderen Ufer sah ich zu beiden Seiten der Brücke zwei matte Lichtkegel durchs Gestrüpp schweifen.
    »Wie sieht’s bei euch aus, Groper?« rief eine Stimme.
    »Wie war das?« rief Groper zurück.
    »Hää-ä?«
    »Ich sagte, wie war das?«
    »Ich sagte, wie sieht’s bei … ach vergiß es, ist sowieso egal.«
    »Ja, meine auch, und erst letzte Woche gekauft.«
    Auf den Steinen am Bachufer zerklirrte eine Flasche. Ich stöhnte auf.
    Sal oder Prong, weiß nicht wer, sagte scharf: »Pssss. Ruhe. Hörst du das?«
    »Was soll ich hören?«
    »Das da. Psss. Hör doch!«
    »Hä-ä?«
    »Als ob einer atmet. Bist du das, Stoat?«
    »Hää-ä?«
    »Als ob einer atmet! Scheiße noch mal!«
    »Nein! Bin ich nicht«, sagte Stoat nervös, »bestimmt nicht.«
    »Ruhe doch! Haltet mal alle die Luft an und hört genau hin. Psss.«
    Und ich hielt die Luft an.
    Und nun folgte eine entsetzliche, kopfsprengende, lungenversengende, herzzerklopfende Ewigkeit, und ich weiß noch, was ich in der endlosen Qual ihres Dahinschleichens und dem tiefroten und dunkelblauen Pochen um mich her gedacht hab: daß trotz all dem Maulzerreißen eigentlich noch gar nichts gesagt war, und daß die Sprache am Ende vielleicht, nur vielleicht, gar kein so großes Geschenk wäre, und daß Taten lauter waren als Worte, Taten sage ich, während ich darauf wartete, daß sie mich fanden und totschlugen.
    Und sie fanden mich.
    Nacktes Taschenlampenlicht ertastete mich. Ein kleines unbehaartes Tier. Stapfende Stiefel kreisten mich ein. Macheten zerhieben die Luft. Schlitzten durch die Planken. Schnitten mich in lange Streifen. Spalteten meinen Schädel mit tödlichem Schlag. Zerhackten mich zu Würfeln. Zu Hackfleisch. Zu Brei. Zu Suppe. Ohne den kleinsten Laut des Widerstands.
    Und aus der Lache meiner zu Schaum geschlagenen Leiche stieg eine in jeder Hinsicht vollkommene Seele empor, um an Seine himmlische Brust zu sinken an Seine himmlische Brust zu sinken an Seine himmlische Brust zu sinken.
    Aber das taten sie nicht. Nein, das taten sie nicht.
    »Da ist er, hat sich eingeigelt, unter der Brücke!« rief Prong oder Sal und ging mit zittriger Taschenlampe in die Knie. Ein Auge auf die Planken gedrückt, starrte er durch eine Ritze auf mich herab.
    »O mein Gott! Der ist völlig nackt, und er grinst mich unheimlich an!« keuchte Prang oder Sol, und ich küßte die scharfe Spitze meiner Sichel und hieb die stählerne Klaue durch die Ritze und versenkte sie bis ans Heft in seinem großen gaffenden Gesicht, zerrte sie wieder zurück und riß es ihm wie eine Maske vom Schädel – dieses dumme Gesicht – riß es von seinem Schädel wie eine schreiende Maske.
    Jaa, aber das tat ich nicht. Nein, das tat ich auch nicht.
    »Ich hör keinen atmen, Blödmann. Wir sollten hier verschwinden«, sagte Sal, und dann machten sie kehrt und gingen zu ihren Autos zurück.
    »Der Mistkerl ist hier, das weiß ich genau!« protestierte Blödmann, aber sie luden ihn in ihren Wagen, und endlich dröhnten die beiden Fahrzeuge über die Maine Road wieder der Stadt zu.
    Vielleicht lag es an meiner Flucht und meiner Angst, an all den Stürzen auf die prügelnde Erde, an schlechter Steuerung, an all den verdammten Gefühlen, die ich bei diesem dunklen Abstieg zu erleiden hatte, an diesem Tag, in dieser Nacht – oder vielleicht lag es an der schier obstretischen Geborgenheit meines irdenen Bauchbeutels, am einschläfernden Puls des Lehms. Oder vielleicht mußte ich träumen, um mich von all den frevelhaften Gedanken zu reinigen, die sich so lange in den Seitenstraßen und Kellern, den Gassen und Dachböden meines Unterbewußtseins verborgen hatten. Oder konnte es sein, daß ich in der letzten Zeit einfach zu wenig geschlafen hatte – aber ich hatte doch geschlafen, oder, oder nicht? Oder vielleicht galt nichts von alledem, und Gott hatte es einfach für nötig erachtet, daß ich noch ein Weilchen in diesem komischen Schlupfwinkel liegen blieb, keine Ahnung, aber genau das hab ich

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