Und die Eselin sah den Engel
Befreit von den Fesseln der Sterblichkeit, schwebte Pas Geist durch den Raum – wir waren jetzt in der Hütte, ich saß am Tisch – er schwenkte die Arme und flog um mich herum.
Dann schwebte er an den Tisch und zog einen Stuhl neben mich, und zum erstenmal in seinem Leben stank Pa nicht nach Pech und Schmieröl. Stattdessen roch er nach … Nichts, dem Stoff, aus dem Geistererscheinungen gemacht sind.
»Konzentriere dich. Versuch mich zu verstehen. Hör mir mit beiden Ohren zu und versuch mich zu verstehen«, begann er. Ich konnte glatt durch ihn durchsehen. O ja.
»In unserem Haus hat einmal Fäulnis gewohnt. Ein verderbliches Übel, das sich in unserem kleinen Haus auf dem Hügel ausgebreitet hatte wie Gift. Aber es war nicht immer da, verstehst du? Es gab mal eine Zeit, da lebten deine Ma und ich glücklich und zufrieden.
Zum erstenmal hab ich diesen Fäulnisgestank vor Jahren bemerkt; er ging von deiner Mutter aus. Du warst noch nicht geboren, aber Ma ging bereits mit dir und deinem Bruder schwanger. Hast du gewußt, daß du einen Zwillingsbruder hattest? O ja. Wirklich wahr. Hat nur einen Tag gelebt. Hat einfach die Augen zugemacht und ist auf die andere Seite gegangen – diese Seite.«
Pas Geist schnippte mir mit den Fingern vorm Gesicht und sagte:
»Konzentriere dich, Junge, du bist nicht bei der Sache.
Je dicker deine Mutter von euch beiden wurde, desto schlimmer wurde es mit ihrer Gemeinheit, ihrer schlechten Laune und Händelsucht. Sie machte viele Flaschen leer, und die Flaschen machten sie leer. Schließlich hat sie euch beide geboren – dich und deinen Bruder – und ich sah die Jahre vergehen, und alles war vergiftet. Aber so etwas kann ein Mann einfach nicht so weitergehen lassen.
Nachdem ich sie getötet hatte, waren wir glücklich, du und ich. Und eine Zeitlang, ein oder zwei Wochen, erlebte ich wahrhaftig so eine Art Hochgefühl; ich war glücklich, daß ich unser Heim endlich von dem verwesenden Übel gereinigt hatte. Und doppelt glücklich, daß ich die Schranke zwischen dir und mir niedergerissen hatte. Aber die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, Junge, daß irgend etwas nicht stimmte. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, irgend etwas stimme nicht an dieser ganzen Sache – hatte zu tun mit Bösem, Wahnsinn und Mord. Hatte was mit dir zu tun.« Pa beugte sich vor und zeigte mit einem Geisterfinger auf mich.
Hatte was mit dir zu tun. Und der Stoff seines Wesens – oder Nicht-Wesens – lief rötlich an, als ob sein Geisterblut in ihm hochstiege. Seine Rede wurde schneller, bewegter, und in seiner Erregung hob sich Pa von seinem Stuhl und schwebte in der Luft.
»Eines Morgens wachte ich auf und wußte, das Böse war zurückgekehrt. Ich hörte es aus deinem Zimmer unheimlich zischen und schnippeln und poltern, und plötzlich erkannte ich, das Böse hatte noch gar nicht unser Haus verlassen.« Der Geist nahm mich bei den Handgelenken, hob meine Hände und drehte sie hin und her. »Ich meine, sieh dir bloß mal deine Hände an. Was in Gottes Namen hast du nur getan? Mehr als ein bißchen Sabotage. Mehr als ein bißchen Vatermord.« Mit einer angewiderten Grimasse ließ er sie wieder los.
Pa stieß mit Nachdruck einen Finger auf den Tisch und zischte durch die Zähne: »Reines Bastardblut der Berge«, sagte er. »Wir sind vom selben Stamm.«
Dann bin ich wohl kurz aufgewacht. Es war pechdunkel. Zu hören war nur der Bach und sein langsam rinnendes Wasser. Die Brücke fiel mir ein. Und das Dorngestrüpp. Aber nur ganz kurz. Nur ganz kurz. Und dann zurück. Zurück.
Ich war nackt. Ich schwebte in tintiger Leere wie ein Tiefseetaucher oder Astronaut – stieß langsam an irgendwelche Dinge an. Ich wußte, da war noch ein zweiter Forscher bei mir, irgendwo in dieser flüssigen Lichtlosigkeit.
Auf einmal wurde ich angegriffen und sah mich in einen heftigen Kampf verwickelt – ein Gewirr von Gliedmaßen, schlüpfrig, nackt, umklammernd, zerrte an meiner Sauerstoffmaske. Ich wurde gegen eine weiche Wand geschleudert. Eine Zelle. Die Zelle war ausgepolstert. Ein Riemen oder eine Schnur wand sich um mich und zwängte mir die Arme an den Körper, aber ich konnte mich aus den schleimigen Banden loswinden. Ich schlang meinem Angreifer die Schnur um den Kopf, zog sie um seinen Hals zusammen, und nach ein paar zappelnden Minuten hatte ich den Bastard erwürgt. Tot schwebte er an seinem Sauerstoffschlauch.
Dann erstrahlte über uns helles Licht, und es zog uns zu sich hinan, dem grellen Loch
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