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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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ich mich in den Staub legte und meine strömenden Augen schloß und wie ein höheres Wesen den gedanklichen Rachetaten zusah, die sich auf der Bühne meines Kopfes abspielten, fand ich keinen Trost, nicht den geringsten Trost.
    Und nach einiger Zeit lief das kochende Meer von Blut und die ganze geköpfte und zerstückelte Menschheit, die darin schwamm, aus meinem Kopf ab, und daraus erhob sich eine Säule aus chaosgeborenem Kalkstein, kalt und hart. Und es folgte ein sehr ernstes Abschätzen von Zeiträumen. Ja, träge lag ich dort unter einer dreisten und schamlosen Sonne, und rang mit ein paar ganz schön ewigen, ganz schön erwachsenen Problemen. Hört zu.
     
    Wild den Hammer schwingend, rannte Euchrid auf dem Hof herum, duckte sich unter den Häuten und Pelzen her, lief zu der großen Mauer aus Schrott, preßte sein Ohr an stummes Blech, wortloses Brett, schweigenden Stein, und horchte.
     
    Ich richtete meine Gedanken zurück auf diesen – auf diesen dunklen Ort, an dem nichts wächst, das nicht gewunden ist, an dem nichts existiert, das nicht windet – mein Herzland – das Sumpfland – meine düstere Zuflucht. Ich dachte an meine Brautkammer, in der ich vor so langer Zeit meinen Schutzengel herbeirief – den Tempel meiner Erinnerungen, meiner Schätze, meiner einsamen Vergnügen. Dort, in dieser Finsternis, hatte ich tausend Stunden zugebracht, ungefährdet in der Abwesenheit von Menschen, fern von den Spöttern und Barbaren, sicher vor den Totschlägern. Dort hatte ich in Frieden der harmlosen Begegnung mit meinen Beschwörungen, meinen Fetischen gefrönt.
     
    Dann schlug Euchrid mit seinem Hammer an die Mauer, unterbrach sich, hörte etwas, und rannte auf die andere Seite des Hofs, wobei er einem Kieferknochen aus dem Weg trat. Er drückte sein Ohr an die Mauer, horchte auf irgendein Geräusch von außerhalb, schlug dann wieder mit dem Hammer an die Mauer und zerhackte die Luft mit seinen Zähnen.
     
    Aber sie haben mich aufgestöbert. O ja. Sind ins Sumpfland gekommen, ohne zu zögern dort eingedrungen. Um es zu entweihen. Um es zu vergewaltigen. Um die letzten Fetzen meines Ichs zu besudeln. Haben meine Grotte kurz und klein geschlagen. Meine Erinnerungen zerstreut wie Müll. Meine himmlische Braut verscheucht. Diese Arschlöcher.
     
    Und Euchrid rannte schon wieder herum, vorbei an dem Leinenpfahl und den Trainingsdrähten, um an einer anderen Stelle der Mauer zu horchen. Mistgabeln, angespitzte Stöcke, Bruchstücke von Ziegelsteinen und Blechplatten zitterten oben bedenklich, alle diese Schreckfallen zitterten bedenklich.
     
    Nie wieder hatte ich in dieser heiligen Zuflucht den selben Zustand der Verzückung finden können. Stattdessen wuchsen mir Stacheln. Hundskopf. Gottes Werk. Denn als sie mein Asyl geschändet hatten, hatten sie zugleich auch Gott geschändet. Er war nicht sehr erfreut, das kann ich euch sagen.
    Euchrid taumelte ein paar Schritte von der Mauer zurück und hielt sich die Ohren zu, drehte sich um und floh in die Hütte; laut schallte das Zuschlagen der Vordertür durch die Stille.
     
    Und obwohl ich mir eine Festung gebaut und meinen bescheidenen Schutzraum mit einer großen Mauer umgeben hatte, sind sie gekommen und werden auch weiterhin kommen, immer wieder, um ihre Schlingen zu legen und ihre Fallen aufzustellen, bis ich ganz und gar tot bin, und selbst dann noch werden sie auf meinem Grab tanzen, mich ausgraben und noch ein bißchen mehr töten.
     
    Euchrid brach durch die Vordertür auf die Veranda, die Schrotflinte in den Armen. Das Gewehr war in Zeitungspapier gewickelt, und das Papier war voller großer brauner Flecken, als ob es in seine Hülle geblutet hätte. Breitbeinig stand er auf der Veranda. Verkniffenen Mundes spie er auf den Hof, stapfte dann energisch die Treppe hinunter und schritt, im Gehen das Papier wegreißend, an die große Mauer. Er zielte mit dem Gewehr auf die Stelle, wo er zuletzt gestanden hatte, und brachte sein Auge ans Visier. Die Sonne war höher gestiegen, und überall lagen Schatten um den Zielenden. Kein Geräusch, weder innerhalb noch außerhalb des Königreichs. Euchrid ließ das Gewehr sinken und ging über den Hof, vorbei an Leinenpfahl und Trainingsdrähten, zu der anderen Stelle der Mauer, an der er zuvor gehorcht hatte. Und wieder hob er die Schrotflinte und zielte damit auf die Mauer, und wieder ließ er sie sinken und schoß nicht.
     
    Und dachte dabei immer weiter. Wie werde ich sterben? Wie werde ich abtreten? Ich kann sie

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