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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Seilrolle über der Schulter, verließ sie den Garten durch die hintere Pforte; das baumwollene Nachthemd klebte an ihrem Körper wie eine schrumplige Haut, die bald abgestreift werden sollte. Nichts war von ihrem Garten übrig – dabei war er einmal von der ganzen Gegend mit Neid betrachtet worden. Bevor der Regen die Frühlingsblüten zu einem modrigen Brei zerschlagen hatte, war der kleine Garten buchstäblich zum Platzen voll gewesen mit Haufen von goldenen, sonnegetränkten Sonnenblumen, tropischen Ranken und einem preisgekrönten Gemüsebeet, das nur so gestrotzt hatte von riesigen Rüben, gigantischen Kürbissen und unzähligen großen Bohnen, die auf drei verschiedenen Jahrmärkten in drei verschiedenen Bezirken jeweils den ersten Preis in ihren Klassen gewonnen hatten. Wahrlich, das war einmal ein prächtiger Garten gewesen, einer der schönsten im ganzen Tal.
    »Habt ihr schon mal so viele Preise gesehen? Seht euch diese Bänder an! Unter ihren Händen wächst alles! Bei Gott, meine Frau bringt alles zum Wachsen!« hatte Sardus einst geprahlt. Er sollte sich noch, allein in seinem Haus, an diese Worte erinnern.
    Die Lampe vor sich haltend, ging Rebecca bis ans Ende der Straße, bog dann nach links in die Dundass ab und schritt über den Hof von Wiggams Gemischtwarenladen. Dort trat sie an den alten stillgelegten Brunnen, auf dessen kleinem Blechdach in verblichenen Buchstaben geschrieben stand:
     
    »WIGGAMS WUNSCHBRUNNEN«
      – Wünsche werden Wirklichkeit –
     
    Sie stellte die Petroleumlampe auf die kleine aus Platten gemauerte Umrandung. Dann befestigte sie ein Ende des mitgebrachten Seils an der mittleren Kurbelwelle der Zugvorrichtung und schlang das andere zu einem groben Henkersknoten. Sie zog sich aus. Wie weiße Flammen umflackerten sie ihre Hände, als sie ein letztes Gebet in den Applaus des Dauerregens murmelte. Schwarze Regenbänder erschienen auf ihren bleichen Armen, ihren winzigen Brüsten, ihrem nutzlosen Bauch, und ein Strickwerk dunkler Adern ringelte sich die steilen Hänge ihres Körpers hinab wie ein Heer schimmernder Schlangen. Aus der Tasche ihres abgelegten Nachthemdes nahm sie die Plastiktüte mit ihrem Abschiedsbrief und stopfte diese zwischen zwei Steine der Umrandung, die sie dann vorschriftsmäßig erstieg. Sie hob den Strick, stülpte sich hastig die Schlinge über den Kopf und zerrte an dem Seil, bis es eng um ihren Hals anlag.
    Sie schwankte ein wenig unter dem großen knotigen Gewächs, das da grotesk auf ihrer rechten Schulter hockte, stand zaudernd einen kurzen Augenblick auf dem Brunnenrand und sprang dann nackend in das dunkle Loch.
    Die Petroleumlampe flackerte schwächlich an der Brunnenöffnung wie ein Ewiges Licht.
    Während er sich fragte, wozu er sich eigentlich noch immer die Mühe machte, morgens aus dem Fenster zu sehen, tat Baker Wiggam, ein überzeugter Frühaufsteher und ein Gewohnheitstier, eben dies und wurde von dem letzten verlöschenden Licht der Lampe auf dem Brunnen begrüßt. Baker Wiggam nahm seinen Mantel und steckte eine große Taschenlampe ein.
    Dreißig Minuten später walzte Wiggams fetter und böser Sohn Fitzgerald – bei jedermann als ›Fists‹ bekannt – durch Sardus Swifts offene Hintertür und platzte ohne auch nur anzuklopfen in sein Schlafzimmer. Er packte das Messinggeländer am Fußende des Himmelbetts und rappelte daran mit aller Gewalt. Durchgeschüttelt wachte Sardus auf und sah einen grinsenden Fists Wiggam vor sich, der wie ein falscher Fünfziger vor ihm rotierte; die schreckliche Nachricht saß dem Jungen wie eine zitternde Blase auf der fetten Zunge.
    Der Junge kicherte, während Sardus sich mit einer Hand übers Gesicht fuhr und mit der anderen die leere Stelle neben sich ertastete. Als ihm dämmerte, daß die Frau nicht in seinem Bett war, hielten die beiden Hände inne; die eine erstarrt auf seinem Gesicht, die andere dorthin ausgestreckt, wo der unfruchtbare Bauch seiner Gattin hätte sein sollen.
    Der Junge holte Luft und sprach:
    »Nich da, Brudder Saudus. Frau nich da. Auch nich am Kochen. Oder am Fegen. Oder am Schrubben. Is gar nich im Haus, Brudder! Futsch! Aber ich weiß, wo die Frau is, Brudder Saudus! Soll ich’s dir sagen?! Dein Frau is in unserm Brunnen, barfuß bis an ‘n Hals! Hähä! Pudelnackt, wie ‘n Baby!«
     
    Als Sardus Swift später zwischen dem murmelnden Rund öffentlicher Entrüstung und dem dunklen Umriß des Brunnens stand, drückten Kummer und Schamgefühl ihn sichtlich nieder.

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