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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Köter blieb auf ihm drauf, und erst als Pas Schrotflinte loskrachte, lockerte er seinen Biß und jagte wieder den Hang hinunter. Die Flinte an der Schulter, kam Pa um die Hütte herummarschiert und feuerte, ungestüm und kurzsichtig zielend, den zweiten Lauf leer, als der Hund sich grade in die durchweichte Bagasse stürzte.
    Unflätig fluchend trat Pa in den Pferch.
    Mule lag reglos auf der Seite, um seinen Hintern breitete sich eine regenverschmutzte Blutlache aus. Und ich sah, wie Pa den Hut abnahm, neben Mule in die Knie ging und das todgeweihte Tier mit einem Finger betastete. Der Regen pißte, und Mule reagierte nicht, und nach einer Weile stand Pa auf und ging zu den Apfelfässern rüber, wo er einen Spaten vom Haken nahm. Mit gesenktem Kopf, den Hut wieder auf und den Spaten wie einen grauen Knochen über der Schulter, schritt er dann über den Hof auf den alten Wasserturm zu.
    Und dort, nur wenige Fuß von den wackligen Stützen des Turms entfernt, begann er zu graben.
    Ich legte den Schuhkarton, eingewickelt in ein altes Hemd, ins Handschuhfach – sah vorher natürlich gründlich nach, ob Kakerlaken oder Ratten da drin waren –, kroch aus dem Chevy und rannte zum Pferch.
    Ich sah mich über die Pockengesichter der Pfützen hüpfen. Platschte auch in ein paar rein.
    Mule lag versteinert in einem Petticoat aus scharlachroter Spitze. Mit seinem verzerrten Maul sah er aus, als würde er lachen.
    Sanft streichelnd fuhr ich mit einer Hand über Mules Nacken. Sein nasses graues Fell war warm. Ganz ruhig sprach ich den Namen des Tiers:
    »Mule«
    und Mule drehte ein panisches Auge auf und richtete es in meine – und der Esel sah den Engel, Auge in verdrehtes weißes Auge, und lang und fest war der Blick. Langsam, ja, und kaum zu glauben, kam Mule wieder auf die Füße. Blut rann ihm in dünnen Bächen über die Hinterbeine. Ich sah nach Pa: er stand bis zur Hüfte in dem Grab und schaufelte wütend und fluchend.
    Und dann tauschten ich und Mule einen zweiten Blick, aber diesmal war ich es, der den Bann brach.
    Ich lief zum Chevy zurück und fand meine Gebete erhört: den Zikaden war nichts passiert. Und da saß ich und versenkte mich in meine Schachtel mit den kleinen gebleichten abgeworfenen Panzern, von denen ich einen behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger gegen das grau durch die Fenster sickernde Licht hob. So vertieft war ich, daß ich kaum mitbekam, wie Pa vor Freude aufjauchzte, als er zu dem Pferch zurückkam und Mule dort stehen sah – ein wenig angeschlagen, aber lebendig. Die schwerelose Schale dicht vor meinem Auge, studierte ich das mosaikartige Geflecht der Adern und bestaunte die Myriaden von Zwieseln und Gabelungen, die Flüsse und Nebenflüsse, die vor dem trüben Licht sichtbar wurden.
    Plötzlich kam Ma in diese Fläche getrampelt – betrunken torkelte sie da rein und kreiselte schwankend wie ein umgeworfener Kegel. Bekleidet war sie nur mit einem bleichen geblümten Kleid, sie trug weder Strümpfe noch Pantoffeln, noch hatte sie zum Schutz gegen den Regen einen Mantel übergeworfen – in ihrer Tatze hielt sie die Steinflasche gepackt. Und als sie ganz in den Zikadenflügel reingeschlingert war, saß sie mir in der Falle, hatte ich sie in diesem ehrfurchtgebietenden, so feinmaschigen Netz gefangen.
    Noch immer durch den Zikadenflügel blickend, dachte ich folgendes: »Ma wird in Mules offenes Grab fallen.« Und wißt ihr was? Genau das tat sie dann auch – entschlüpfte meinen Fesseln und verschwand spurlos von der Bildfläche meines Zikadenflügels. Mein Herz machte einen Satz, und ich brach in pantomimisches Gelächter aus. Geistesabwesend zerdrückte ich Flügel und Panzer in meiner Hand, ohne es auch nur zu merken. So sehr war ich erheitert!
    Pa war hinter der Hütte verschwunden, so daß ich ohne großes Risiko auf das Dach des Wagens klettern konnte. Unter mir schlug, wie eine auf dem Rücken liegende Riesenschildkröte, wie ein Seehund, meine Mama um sich und versank immer tiefer in dem saugenden Modder, der drauf und dran war, sie zu verschlingen, hinabzuziehen und für immer absaufen zu lassen.
    Pa kam mit Mule zurück, den er an der Kette hinter sich herzog.
    Ich machte mich dünne. Verzog mich. Unter den Chevy.
    Ich lag auf dem Bauch, der Boden unter mir war feucht und kalt, aber ich hielt schweigend aus – was anderes blieb mir nicht übrig. Den Blick nach dem Pferch gerichtet, sah ich durch den peitschenden Regen nur noch, sich von dem Grabloch wegstemmend, Mules

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