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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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Zusammengekrümmt und hoffnungslos starrte er, unfähig es zu erkennen, in das verbissene und erschöpfte Gesicht, das da in einer Pfütze zwischen seinen Füßen lag.
    Die Ohren klangen ihm von einer Kette übelster Flüche und Verwünschungen, von denen auch die Bürger des Ortes etwas abbekamen. Sie drängten sich um den Brunnen und schnalzten und stöhnten, als aus der Tiefe sich ein Schwall schmutzigen Wassers ergoß.
    Baker Wiggam und Doc Morrow fischten die Verrückte aus dem Brunnen; sie war nackt, bis auf ein paar fahle, daumendick vollgesaugte Blutegel. Aus dem rötlichen Striemen unter dem Halsstrick sickerte rosa Flüssigkeit. Ihre zarten kleinen Hände waren aufgerissen, zerfleddert von den rauhen Fasern des Seils, des groben Stricks, an dem sie sich die ganze Spätfrühlingsnacht hindurch festgeklammert hatte, während sie in dem fast bis zum Rand gefüllten Brunnen hing; ihr »Sturz ins Bodenlose« war gerade zwei Fuß in die Tiefe gegangen.
    In den folgenden Tagen sah Sardus die Gesichter seiner Mitbürger wie eine Galerie primitiver Porträts, die ihn mit leerem Blick aus den Rahmen ihrer Fenster anstarrten, während er verbissen auf den speziell ausgerüsteten Krankenwagen wartete, der aus dem vierhundert Meilen entfernten Marilyn Cottages, Delaware, auf Cape le Winn anrücken sollte.
    Als sie nach einiger Verzögerung endlich die letzten Begräbnispapiere unterschrieben hatten, sahen Sardus und Doc Morrow den grauen fensterlosen Leichenwagen in den glasigen Mitternachtshimmel tauchen, und gleich darauf war er in der sternenlosen Wand verschwunden, nur noch ein fahler Fleck mit einer zappelnden Fracht, in graue weiche Polster und graue Lederriemen gepackt und von grauem Wahnsinn geschüttelt, auf dem Weg nach Marilyn Cottages, nach Marilyn Cottages, nach Marilyn Cottages.
    Sardus Swift zog sich in sein Haus zurück, das seine Festung werden sollte; und auf dem Blechdach ließ der Regen nicht ab, ihm von seinem Verlust zu erzählen.
     
    Und so begab es sich, daß die Ukuliten führerlos in einen neuen Kreis von Depression, Apathie und Stumpfheit eintraten. Und Tag um Tag versank tiefer und immer tiefer in dumpfer Teilnahmslosigkeit. Und der Regen fiel herab und spülte auch die letzten Hoffnungsfetzen weg.
    Einige der Frauen fanden in Sardus’ Tragödie einen Vorwand, sich wehklagend im Schlamm um den Brunnen zu wälzen, doch waren diese wenigen so zaghaft bei der Sache, daß sich kein Widerstand erhob, als Baker Wiggam sie entsetzt von seinem Grund und Boden scheuchte. Die Frauen standen einfach auf, rafften unter einem Hagel von Schlammbatzen, mit denen Fists sie lachend bewarf, ihren letzten Stolz zusammen und kehrten in ihre Häuser zurück.
    Über mehrere Ukuliten, die einen einwandfreien Ruf genossen, kamen Skandalgeschichten in Umlauf; diese verbreiteten sich erst in den Reihen der Andersgläubigen und kamen dann schließlich auch den Ukuliten selbst zu Ohren. Und es traf durchaus zu, daß viele ihrer Anhänger rapide an Gewicht verloren, daß sie mit geschwollenen Augen und schweren Lidern herumgingen, als ob sie irgendwelchen heimlichen Lastern frönten, die sie auszehrten.
    Die Ukuliten brauchten ganz eindeutig einen neuen Führer. Doch jeder der vorgeschlagenen Kandidaten, so geeignet er schien, das Steuer der Gemeinde zu übernehmen, fand ein nicht minder geeignetes Argument, um sich vor diesem Posten zu drücken. Nicht einer von ihnen wollte kandidieren.
    Die regelmäßigen Gebetsversammlungen lösten sich langsam auf.
    Einige der Gläubigen nahmen sogar an dem zwecklosen Absingen von Kirchenliedern teil, das jeden Samstagabend in der unitarischen Kirche veranstaltet wurde, die, von der Baufirma im Stich gelassen, gespenstisch und unfertig auf dem Ruhmeshügel stand.
    Zu ihrem Abfall vom Glauben kam das moralische Straucheln einiger Männer, die nun anfingen, in den Saloons und im Hurenhaus zu verkehren und sich dem Spiel mit Würfel und Karten hinzugeben.
    Viele dieser Männer verscherbelten Teile des Tals, um ihre Spielschulden zurückzahlen zu können.
    Den Frevlern wurden mitternächtliche Besuche abgestattet. Häßliche Szenen. Häßliche Szenen.
    Häßliche Szenen, von denen Sardus nichts mitbekam; er hielt sich noch immer hinter den verschlossenen Läden seines Hauses versteckt, die Falten seines Gesichts zu einer bitteren Grimasse erstarrt, die mit der Zeit unter einem langen struppigen Bart verschwand.
VII
    Während ich Fleisch um Fetzen Fleisch hinabsinke und der wohltuende

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