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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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verhexen? Mich in einen schrecklichen Bann schlagen?
    Ich brauchte Wasser, und ich hob ein wenig den Kopf und wollte gerade wenigstens das Wort »Waas-sa« aussprechen, als sie sagte: »Hier ist Wasser. Trink.«
    »Versuch nicht zu sprechen. Bleib einfach so liegen. Is schon gut, ich hab gesehn, was passiert ist. Wenn ich diese Schweinehunde nicht zurückgepfiffen hätte, dann hätten sie dich … ruhig liegenbleiben – das ist ein brutaler Kerl, dieser Jock Snow – psch, nicht sprechen«, flüsterte sie, hob einen feuergekrönten Finger und drückte ihn sanft auf meine Lippen.
    C osey Mos Gesicht war in rotes Licht getaucht, und rosa schimmerten auch ihre geflochtenen Locken, die ihr über beide Brüste fielen, als sie sich über mich beugte, um mein zerschlagenes Gesicht abzutupfen; und trotz aller Proteste meines geschundenen Körpers spürte ich das Weiche ihrer Locken leise über meinen zitternden Oberschenkel streichen.
    »Sooo, du bist also der Spanner … du bist also der Voyeur«, sagte sie mit eigenartigem Lächeln. »War nich das erstemal, stimmt’s, Süßer? Du warst schon öfter hier.« Und dann mit gedämpfter Stimme, mehr zu sich selbst als zu mir: »… diese gottverdammten Scheißkerle …«
    Ihre glatten weißen Brüste hoben und senkten sich unter dem schlüpfrigen Satin ihres Nachtgewandes. Ich atmete süßsauren Achselschweiß. Die Gedanken voll von diesen zwei honigfarbenen Kugeln und ihren leisen Worten: »Sssch, mach jetzt die Augen zu, Herzchen«, muß ich dann wohl eingeschlafen sein …
IX
    Also, ich will ja nicht schlecht von den Toten reden, aber hab ich euch erzählt, daß meine Mutter eine mordsmäßige Riesenfotze war? Tja, genau das war sie – eine mordsmäßige Riesenschweinefotze mit einer vertrockneten schwarzen Made als Gehirn.
    Wenn sie gerade genug in der Krone hatte, um aufrecht stehen und reden zu können, pflegte die Schlampe sich als Pädagogin aufzuspielen. Ziemlich trauriger Anblick.
    Eines Abends, Pa hatte sich früh ins Bett verzogen, beschloß Ma, mich über meine Herkunft, meine Vorfahren, meinen Familienstammbaum und so weiter aufzuklären. Ich saß auf dem Stuhl mit der harten Lehne, und wir spielten dann ein Spiel, das ihr immer großen Spaß machte.
    Während sie, in einer Pfote ihre steinerne braune Flasche und in der anderen eine alte Plastikfliegenklatsche, vor mir herumtorkelte, erteilte sie mir zunächst den Unterricht, der bis zu einer Stunde, manchmal auch zwei dauern konnte, um mich anschließend mit Fragen zu bombardieren. Lautete die Antwort »Ja«, mußte ich die rechte Hand heben, und lautete die Antwort »Nein«, mußte ich meine Linke heben. Antwortete ich unrichtig und hob die falsche Hand, verpaßte sie mir mit der Fliegenklatsche einen brennenden Hieb auf den Schädel. Antwortete ich überhaupt nicht, was oft geschah, da mir beide Hände an die Vorderbeine des Stuhls gefesselt waren, schlug sie mich, je nachdem, auf welcher Seite sie die richtige Antwort erwartete, übers rechte oder linke Ohr.
    Gegen Ende der Flasche merkte sie manchmal, daß sie selbst die Antwort vergessen hatte, und dann bekam ich einen Schlag auf beide Ohren. Wenn sie sich schließlich weder an ihre Frage erinnern konnte noch ans Thema der Stunde oder wieso ich überhaupt an einen Stuhl gefesselt war und sie eine Fliegenklatsche in der Hand hielt, überschüttete sie mich mit einem Hagel von Ohrfeigen, Hieben, Schlägen, Stößen, Remplern und Tritten, bis sie endlich erschöpft in ihrem Sessel zusammenbrach. Ich mußte dann noch solange warten, bis Pa befand, er könne ungefährdet ins Zimmer kommen und mich losbinden.
    Aber ich will hier nicht versinken und einen Haufen Dreck nach einer Leiche schleudern – denn das ist sie jetzt, vollgestopft mit Maden – oja, und eine Seele, eine schreiende, brennende Seele. Ich will euch sagen, was Ma mir an diesem Abend über meine Vorfahren, meine Abstammung väterlicherseits offenbarte – seltsame Dinge, Dinge, die ich immer geargwöhnt hatte, über meine Herkunft, über mein Blut. Ja, über mein Blut.
     
    Ma brüllte, denn sprechen tat sie selten: »Dein Stammbaum, Kerl, aufer Seite von deim Pa, is ‘n ziemlich schattiger Baum, aber damit will ich nich sagn, daß er nu sonderlich viel Blätter hätte. Die Seite von deim Pa is bloß ‘n einzicher dicker schwatzer verkackter Knubbel, der mitten aus ‘m hintersten Hinterwald gewachsn is – ich red von Leutn aus ‘n Bergen, Kerl, und das is das übelste Gezücht, was man sich

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