Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
unschätzbare Informationen, gesammelt gleichsam in der Höhle, in der Grube oder im Bauch des Wals.
    Ein Beispiel dafür war der Auftrag, der mir auferlegte, mich mit dem Tun von Cosey Mo – der Hure von Hooper’s Hill – zu beschäftigen.
    Es war früh am Abend und der Regen pißte, und als ich auf die Kuppe des Hügels kam, sah ich da einen Laster mit grell leuchtenden Scheinwerfern vor dem kleinen rosa Wohnwagen parken.
    »Cosey hat Gesellschaft«, dachte ich und vermerkte dies in meinem Geiste.
    Es war sicherer, Cosey Mo bei Nacht zu beobachten, denn da sie bis tief in die Nacht in ihrem Wohnwagen aufzubleiben pflegte, konnte ich auf den Radschutz klettern und durch das kleine runde Fenster spähen, ohne selbst gesehen zu werden.
    Drinnen sah ich nun den – mit einer tintigen Menagerie tätowierten muskulösen Rücken und Hintern eines Mannes, der soeben der Hure zusetzte, beziehungsweise dem bißchen, was ich von ihr sehen konnte – einen wabbelnden Oberschenkel, einen goldenen Flecken Haar, einen krummen und klammernden Arm und einen ausgestreckten Arm. Mein Herz pochte sehnsuchtsvoll bei dem Anblick, denn selbst im Tumult des lärmenden Wolkenbruchs konnte ich ihr bebendes Blöken hören – abgehackt und rhythmisch – ihr Schreien in der Nacht – O Cosey …
    Ich muß eine Weile weggetreten sein, hypnotisiert von dem greulichen Wanderzirkus auf den glänzenden Konturen seines Körpers – eine Kobra mit einer Ratte in den Giftzähnen, ein springender Panther, kämpfende Wölfe, ein Einhorn, das auf seine mächtigen Schultern gestochen war, und auf dem Nacken ein Adler, der über die rastlose Brut sein Urteil sprach.
    So entschlossen war ich, meinen Auftrag auszuführen, daß ich die hinter mir nahenden Schritte nicht bemerkte.
    »Okay, du Spanner, das war’s«, ertönte eine schnapsbelegte Stimme, ich fuhr herum, und eine sechszöllige Stahlklinge nagelte mich an die Wand. Ich spürte ein leichtes nervöses Stechen, das von der Klinge kam.
    »Runter da, du Perverser«, grinste ein hagerer unrasierter Mann, er hatte einen Goldzahn, und auf die Knöchel seiner rechten Hand waren die Buchstaben H-A-S-S tätowiert, desgleichen auf der linken: H-A-S-S.
    »Pfoten weg – laß alles wie es ist. Mein sehr böser Freund soll dich so sehen, wie ich dich gefunden habe. Wir bleiben jetzt hier im Trockenen und warten, bis er fertig is …«
    Ich zitterte, plötzlich war mir kalt, sehr kalt.
    »Du hast großes Pech heute, Spanner. Mein Freund Jock Snow«, fuhr er fort, »tja, mein Freund Jock Snow wird dir den Kopf abreißen und in den Hals scheißen.« Und während wir so bestimmt volle zehn Minuten warteten, bebte und bibberte jeder Muskel in meinem Körper, und der mit dem Goldzahn flüsterte immer und immer wieder: »Mann, has du ein Pech heute«, und jedesmal, wenn ich versuchte, mich zuzuknöpfen, zischte er: »Ich sagte, Finger weg davon, Spanner.«
    Endlich kam, das Hemd über die Schulter geworfen, Jock Snow die Treppe runter. Ein verflucht breites Grinsen auf dem Gesicht.
    Dann sah er mich. Und blickte unglaublich böse. Und sehr gemein.
    Das letzte, woran ich mich erinnere, ist das Antlitz Jesu, eine Komposition aus Blau und Grün, die auf mich zuschwebte, die Stirn übersät mit roten Blutstropfen; und ich weiß noch, wie ich dachte, was für ein überwältigendes Mitleid aus Seinen Augen strahlte. Dann bekam ich einen Tritt wie von einem Esel.
    Ich erwachte in Lavendeldüften.
    Ich versuchte die Augen aufzumachen, aber mein linkes Auge fühlte sich an, als hätte es statt Lidern zwei gierige Blutegel, die nur einen winzigen Spalt offenließen, durch den ich sehen konnte. Und mein rechtes Auge wollte überhaupt nicht aufgehen. Alles, was ich sehen konnte, war in rotes Licht getaucht, und ich fragte mich, wo zum Teufel ich hingeraten war. Weilte ich noch unter den Lebenden? War ich gestorben und zur Hölle gefahren?
    Dann senkte sich eine kühle Hand herab und strich mir leise über die Stirn. Sie gehörte zu einem blassen stoffbehangenen Arm, und der Arm gehörte zu dem parfümierten Körper von Cosey Mo.
    Ich war hilflos. Ich hatte keine Chance, mich zu wehren. Ich wollte aufstehen, aber mein Körper revoltierte mit tausend Stichen und Schmerzen, großen und kleinen. Ich sah ihr zu, so gut es ging – in rotes Licht war sie gebadet – streichelte und tätschelte und tupfte mich ab, und ich versuchte dahinterzukommen, was sie mit mir vorhatte – warum sie mich so unentwegt betatschte. Wollte sie mich

Weitere Kostenlose Bücher