Und die Eselin sah den Engel
blutüberlaufene Unterschenkel und Pas riesige schlammbedeckte Stiefel, und die Kette, die wie eine silberne Schlange, lebendig und zischend, über der großen Pfütze hochschnellte. Dann stieß Mule einen abgebrochenen Schrei aus – jedenfalls glaube ich, daß es Mule war. Und langsam und schauderhaft hob sich ein gewaltiger schlammfarbener Bauchfüßer – eine schwarze flappende Schnecke von der Größe eines Walbabys – aus dem randvollen Sumpfloch und klatschte lang hin, um – formlos, schwarzbraun und klebrig – mit dem Matsch neben der Grube zu verschmelzen. Das Ding trug eine dicke Kette um die Hüfte.
Pas Stiefel stapften schwer und boshaft zu dem Klumpen hin, und ich sah, wie er Anstalten machte, diesen sich windenden Scheißhaufen mit einem wuchtigen Tritt ins Tal zu schicken. Aber nein, zu meiner Verblüffung hob er nicht einmal ein Bein, um draufzutrampeln – er stand bloß da, schlurfte ein wenig hin und her, zeigte hierhin und dorthin, als ob er etwas suchen würde. »Sie hängt an der Wand, Pa … die Kettensäge …« hörte ich mich denken. »Die Kettensäge, verdammt noch mal, hol sie …«
Langsam klaffte an einem Ende ein rosa Schlitz auf; der Regen spülte den Schlamm davon weg, und durch dieses helle Loch schien das dampfende Hohltier zu atmen. Das untere Ende teilte sich, zwei kolossale Beine erschienen, und darüber entstanden zwei rudernde rosa Arme, von denen einer eine steinerne Flasche schwenkte. Die zwei Kackstelzen strampelten in alle Richtungen, und aus der klaffenden Höhle in ihrem Gesicht – denn es war Ma – scholl ein keifendes Gebrüll:
»Paa! Paaaa! Mach die Kette ab!«
Als ich mich unter dem Chevy auf den Rücken drehte, machten meine Augen eine wundersame Entdeckung. Über meinem Gesicht, quer übers ganze Fahrgestell gespannt, hing ein riesiges Spinnennetz, das – der großen Spannweite nach – nur von einem ungewöhnlich wagemutigen Spinnentier stammen konnte. Ich schwöre, seit es vor zwei Jahren zu regnen angefangen hatte, hatte ich kein einziges Spinnennetz mehr im Freien gesehen. Und dann noch so groß! Und was für ein verdammt stattliches Exemplar!
Es schwamm vor meinen Augen. O ja. Und plötzlich schien alles geozentrisch auf die Achse dieser verknüpften Seide – dieses hypnotisierenden Netzes – zuzustreben, die Spirale kreiste Windung um enger werdende Windung um ihre geisterhaften Wicklungen und zog mich in ihr dunkles Inneres, das da über meinem Kopf hing. Finsternis umwallte mich, und allmählich sahen meine Augen nur noch wuchernde Schwärze … die mich hinabzog … hinunter … in ihr Hexenherz …
Ich riß mich los und warf mich wieder auf den Bauch, befreite mich aus der Trance, die mich, wäre ich so liegengeblieben, wie eine Fliege verdaut haben würde.
VIII
Mein ganzes Leben lang hab ich am Rand gelauert und beobachtet – und alles im Auge behalten: die unseligen Verkettungen, die unglücklichen Zufälle und die ausgewachsenen Katastrophen der Bewohner meines Herrschaftsgebietes – Ukulore Valley.
Ich war, könnte man sagen, ein Voyeur des Herrn. All meine Tage hab ich – eingeschleust in die feindlichen Reihen – als Denunziant gedient und so viel wie möglich von dem zusammengetragen, was mir zufällig vor Augen, Ohren oder Nase kam. Ja, jetzt, da ich dem Paradies – meinem rechtmäßigen Herrschaftsgebiet – entgegengehe, bereitet es mir ein gewisses Vergnügen, dieses mein lebenslanges Geheimnis zu offenbaren. Gott hat mich zu seinem Spitzel berufen. Denn niemand, denk ich, kann besser ein Geheimnis bewahren als ein Stummer.
Zweifellos wurde ich in den Bauch meiner Mutter gepflanzt, um an die Stelle meines Bruders zu treten, dem das Trauma des Lebens erspart wurde und der jetzt im Himmel auf mich wartet. Bruder! Hab ich’s dir schon gesagt? Ich komm nach Hause! Ich komm nach Hause!
Dies erklärt auch, warum meine früheren Handlungen so folgenlos blieben. Warum niemals etwas passierte, das unmittelbar auf mein Handeln zurückging. Mein göttlicher Auftrag wurde erst in den letzten Jahren neu formuliert. Erst in diesen letzten Jahren wurd ich vom Spitzel zum Saboteur befördert.
Aber das liegt jetzt alles hinter mir.
Obwohl Gott selbst mir gesagt hat, mein irdisches Wirken sei von unvergleichlicher Qualität gewesen, verliefen nicht alle meine Aufträge frei von Mißgeschicken. Tatsächlich wurzelte wie bei Ezechiel, Daniel oder Jonas in großen persönlichen Katastrophen das eigentliche Wesen meines Erfolgs –
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