Und die Eselin sah den Engel
ein böser Stern, und kein Tag ging dahin, an dem ich nicht irgendwelche Scheiße abbekam.
Stumm geboren neben einem toten Bruder, in einer Lache Kartoffelschalenschnaps, auf dem Rücksitz eines ausgebrannten Autowracks, mitten auf einem Müllhaufen – das war erst der Anfang, eine bloße Ahnung von dem, was das Schicksal für mich bereithielt. Mein Bruder wußte es womöglich schon, ich aber nicht: daß wir zwei ganz erbärmliche Wichte waren. Einer stumm und einer so gut wie tot, kranke Ausgeburten wahrlich schmutziger Lenden – häßliche Bälger, aus dem Slum ihres Leibes in eine böse böse Welt gestoßen, eine Welt, die zu grausam war für zwei so schlecht gezeugte Würmchen wie uns.
O, gewiß, die Feldarbeiter schlugen mich nieder, und die aus der Stadt verjagten mich, die Schulkinder bewarfen mich mit Steinen, und die von der Fabrik traten und traten mich, aber ich hab all den Schlägen getrotzt, die auf mich niederregneten. Ja, all diese Drangsale schienen fast unbedeutend im Vergleich zu den endlosen Greueln, die ich bei mir zu Hause auszustehen hatte. Ja! Dort lebte ein ganz gemeiner Feind! O, Mama war mein wahrer und scheußlichster Widersacher. Sie war ein Rabenaas. Auf keiner Seite des Zauns hatte ich eine Zuflucht. Was mich in Wahrheit auf die Probe stellte, waren nicht die Leute im Tal, sondern die versoffene despotische Höllensau, die mich geworfen hatte. Ihre späteren Jahre brachte sie, ich schwöre es, einzig damit hin, mein Unglück zu vertiefen. Allein der Gedanke daran, selbst jetzt, volle zwei Jahre nach ihrem Abgang, dreht mir den Magen um.
Wißt ihr, manchmal macht es mich irre, mich, den Fahnenträger und Szepterhalter des Herrn, auserwählt, Seinen hinreißendsten Auftrag zu erfüllen, wie der Allmächtige in all seiner Güte und Gnade ein solches Scheusal wie sie ersinnen konnte. Oder war dieser Drachen das Werk einer anderen, schrecklicheren Hand? Das Monsterwerk eines Kosmetikers der Hölle? Ein Glied Luzifers? Welche stinkenden Verliese wurden da ausgepumpt? Welche Sickergruben angezapft? Wißt ihr’s? Nein? Ja?
VII
Sie saß auf einem schlichten Hartholzstuhl mit hoher Rückenlehne, umgeben von tiefer, sepiabrauner Leere. Sie trug denselben weißen Baumwollkittel wie immer, doch nicht so steif wie früher. Stattdessen waren die Röcke ein wenig hochgezogen und zeigten ihre Knie; locker saß die dünne Bluse. Ihre Gliedmaßen waren ein wenig zu lang, denke ich, und obwohl sie recht umständlich da saß, für ein Porträt nämlich, hatte sie eine gewisse Gelassenheit an sich, die sie völlig unbefangen erscheinen ließ, so, als ob ich sie beobachtete und sie nichts davon merkte.
Vielleicht lag es am Strahl der Taschenlampe, daß die trübe Umgebung noch dunkler wirkte und das gespenstische Leuchten ihres Kittels und die nach hinten über die Schultern fallenden Goldlocken so deutlich hervortraten, aber – und dies ist fast unmöglich zu erklären – aus dem bleichen Gestade ihres Gesichts traten, wie zwei zaubernd gestikulierende Hexenhände, ihre Augen hervor. Teiche, in denen man ertrinken konnte, smaragdgrün und hypnotisierend wie Spinnennetze im Winter oder die Kreise auf den Flügeln der Teufelsmotte, zauberhaft bezaubernd sahen sie unter schweren Lidern hervor, irgendwie nach außen, aber auch nach innen gerichtet, und erfüllten meine Gedanken mit dumpfem Gehaspel – unheimlichem, dunklem Gemurmel – und das Blut hämmerte mir im Kopf – zog mich runter – tiefer und immer tiefer hinab …
Wie lange ich so dort stand, gebannt im Dunkel des Bethauses, kann ich wahrhaftig nicht sagen, aber es muß eine lange Zeit gewesen sein, denn das Bild ihres Gesichts begann zu verblassen wie ein verlöschender Mond, bis ich es kaum noch sehen konnte, und eben dies brach dann endlich den Bann: die Batterien meiner Taschenlampe ließen nach. Dies, und die Stimme.
»Habe ich das Heilige in einem Menschen abgebildet, oder könnte es sein, daß ich das Menschliche in einer Heiligen dargestellt habe?«
Ich drehte mich hastig um und richtete die Taschenlampe auf die Stimme. Beleuchtet von dem ersterbenden Strahl stand eine dunkle Gestalt im Eingang. Ich ließ den Strahl herumfahren und suchte nach einem Fluchtweg. Es gab keinen.
»Fürchte dich nicht. Es ehrt mich, daß einer von euch zurückgekommen ist, um mein Bild alleine zu betrachten. Ich bin nicht hier, um dir wehzutun. Es ist keine Sünde, hier zu sein. Sag mir, warum willst du dir Beth ansehen? Was hat dich an dem Bild so
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