Und die Eselin sah den Engel
um die Treppe herumlief, und entging dem rasenden Pöbel nur um Zentimeter, um Sekunden; aber sie jagten mich keuchend und fäusteschüttelnd durch die ganze Stadt, bis ich nur noch ein verhöhnter feiger Fleck am Horizont war.
Dies war keineswegs das erste Mal, daß die guten Leute von Ukulore Valley mich aus der Stadt gewürgt, gerülpst und gekotzt hatten. O nein, und auch nicht das letzte Mal! Selbst jetzt, da ich langsam untergehe, stürzt etwas auf mich zu. Etwas mit höllischen Gründen – Prediger mit roten Kapuzen, bekehrt zu blutigen Schlächtern! O böse kleine Beth! Welch Werk der Zerstörung haben wir gewirkt!
VI
»Das Martyrium des Propheten« von Gaston Georges hatte seit 1935 an der Südwand des ukulitischen Bethauses gehangen, seit dem Jahr also, in welchem der angesehene studierte Porträtmaler, beeindruckt von der »völligen Unschuld und unermüdlichen Hingabe« der Ukuliten an das Gedächtnis ihres Propheten, in dem blühenden Tal seinen Wohnsitz genommen hatte.
»Euer größter Schatz ist Euer unerschütterlicher Glaube, ein Geschenk, das kostbarer ist als alles, was ich je erleben werde«, bemerkte Gaston bei der Vorstellung des bestellten Porträts, und bedang sich zum Lohn lediglich die Erlaubnis aus, in dem Tal wohnen zu dürfen.
»Ihr habt mich sehr glücklich gemacht. Ich werde Euch auch weiterhin dienen, in der Hoffnung, eines Tages durch Euer Beispiel Frieden zu finden«, fuhr er fort, vor Bewegung zitternd, und dennoch geplagt von nagenden Zweifeln, die er, obgleich er für den Rest seines Lebens im Tal wohnen blieb, niemals lösen sollte.
Den rechten Fuß unter dem Saum seiner rüschenbesetzten Gewandung – einem heftigen Drama aus glänzenden Kräuseln und tiefen dunklen Falten –, und den anderen Fuß, den linken, von einer güldenen Mondscheibe umschlungen, stieg der Prophet auf einem Schwarm frohlockender Cherubim in den Himmel auf.
Eine weite wallende Robe, am Herzen rot gefleckt; ein blendendes Szepter und Krone; feuchte blaue Augen – all das zog den Blick nach oben den Lichtstrahlen zu, die aus den Wolken fielen, die sich auftaten, um ihn zu empfangen.
Gaston Georges weihte den Rest seines Lebens der Aufgabe, die Geschichte der Ukuliten in Porträts zu dokumentieren. Die streng fundamentalistischen Prinzipien der noch lebenden ukulitischen Erstsiedler fielen dem Maler in den Pinsel und zügelten die ungestüme Stimme seiner Imagination; und dies schon bald so sehr, daß die acht ovalen Porträts, die im kalten Inneren des Rathauses hingen, keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem Vorgänger aufwiesen. Dies waren hagere, verhärmte, fromme Gesichter, mürrisch hinter Bärten und unter steifen schwarzen Hauben. Acht finstere Modelle – kalte und schmucklose Säulen der Gemeinschaft – Produkte einer gehemmten und eingeschränkten Hand.
Doch sollte Georges sein unerreichtes Meisterwerk erst noch malen. Und dies tat er rund sechs Jahre nach dem Ende des Regens.
»Beth« hing im Bethaus der Ukuliten gegenüber der spiralig gewundenen Inspiration des »Martyriums« an der Nordwand. Manche verschmähten es, andere priesen es. Andere waren schlicht verwirrt. Sardus Swift faßte den Entschluß, es im Bethaus aufhängen zu lassen. Es zeigte Beth im Alter von sechs Jahren.
DIE KLAGELIEDER EUCHRIDS DES STUMMEN, Nr. 4
O Gott, ich flehe zu Dir! Höre mein Rufen, und gewähre mir bald Ruhe, denn müde bin ich dieses Tages und seiner so schweren Last. Nimm Deinen Diener auf und hol mich nach Hause. Herr, auf dieser Menschenerde ist kein Platz für mich. Ich habe Dein Gebot erfüllen sehn. Es ist vollbracht. Man hat sie erschossen.
Drei Krähen kreisen am Himmel! Ich komme, Herr! Ich komme! Denn das Tor zu Deinem Himmelreich liegt nicht an meinem Kopf, sondern zu meinen Füßen. Ruf mich hinab! Laß diesen Sumpf sein Maul um mich schließen! Bereite meinen Weg! O Gott, erhöre mein Gebet. Ruf mich hinab und erlöse mich von den blutrünstigen Menschen!
Man sollte meinen, es müßte eigentlich reichen, stumm geboren zu werden – die Zunge gelähmt und der Fähigkeit zur Mitteilung beraubt. Man sollte meinen, die Bürden der Stummheit wögen schwer genug auf dem Haupt eines Kindes. O nein! Wer auch immer für die Zuteilung der miesen Schicksale und des Elends zuständig war, muß mich erblickt und die ganze verfluchte Büchse über mir ausgekippt haben, denn ich troff geradezu von dem Zeug – Pech und Unglück. Und ein widriger Wind blies jeden Tag, und jede Nacht erschien
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