Und die Eselin sah den Engel
Wohlergehen seines Kindes Beth, seiner einzigen und höchsten Wonne.
Beth bog gähnend ihren kleinen Körper zurück; für einen seligen Augenblick dehnten sich alle ihre jungen Muskeln über den zarten, wachsenden Knochen. Ihr Gähnen steckte das Zimmer an, und sie beobachtete, wie Sardus und Molly Barlow simultan zu einem tiefen müden Atemzug ansetzten.
»Ich danke Euch für das Abendessen, Miss Barlow. Darf ich in mein Zimmer gehen, Daddy?« fragte Beth, die beiden anstrahlend.
Sie strahlten zurück, und noch als Beth ihr Zimmer betrat und sachte die Tür hinter sich zuzog, lag ein stilles Lächeln auf den Gesichtern der beiden Erwachsenen – glückliche Opfer der ansteckenden List des Kindes.
In der Abgeschiedenheit ihres Zimmers glitt das Lächeln von Beths Lippen wie etwas Ungewolltes. Dicke Wachspuppen mit dicken Köpfen und Händen saßen fünfzigfach in zwei peniblen Reihen an der Wand ihr gegenüber.
Die grünen Augen weit offen und nach innen gewandt, um eine andere Welt in Bewegung zu setzen, eine Welt, die nicht von größeren Händen beschmutzt war, wühlte sie in der Tasche ihres Kittels. Sie summte zu einem Lied, das nur sie alleine hören konnte, zog eine hölzerne Wäscheklammer aus der Tasche und hielt sie fest in der Faust.
»Nicht weinen, Klammer. Mutter ist zu Hause.«
DIE KLAGELIEDER EUCHRIDS DES STUMMEN, Nr. 3
Ein anderes Mal beobachtete ich, wie zwei junge Raffineriearbeiter ein Mädchen etwa in meinem Alter – fünfzehn – vögelten, und zwar am unteren Ende des Friedhofs von Hooper’s Hill. Seth und Billy hießen sie, und als sie fertig waren, gingen die jungen Männer nicht etwa entlang der Schienen hinter den Feldern nach unten, sondern schritten den Friedhof hinauf direkt auf die Stelle zu, wo ich mich verborgen hatte. Sie packten mich, zerrten mich auf eine Grabplatte und drückten mir die Luft ab. Seth setzte sich rittlings auf meine Brust und hielt meine Arme mit seinen Knien unten. Als das Mädchen sie schließlich eingeholt hatte und mich sah, warf sie ihre Arme vors Gesicht und begann lauthals zu fluchen. »Bringt ihn um! Seth! O Billy! Bringt ihn um! Er wird uns verraten! Er wird uns verraten – o bringt ihn um!!«
Seth schlug mich ins Gesicht. »Nur ruhig. Wer glaubt schon ‘nem Verrückten wie dem da? Hier!« Noch immer schluchzend, die Hände vorm Gesicht, rückte das Mädchen etwas näher und spähte mit tränennassen Augen durch die Finger. »Halt ihn fest, Seth!« keuchte sie und kam ganz nahe und sah auf mich hinunter; ihre Brüste hoben und senkten sich. Sie stank nach Sex. Ein schriller Schrei kam von ihren Lippen, und sie lachte und lachte und hörte auch nicht auf zu lachen, als Seth nun anfing, mir die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, dann abstieg und mich Billy überließ, der das Ganze noch einmal veranstaltete. Sie lachte bis zum Ende. So ein Miststück.
Doch nicht jede Hand, die mich mit Schlägen züchtigte, gehörte einem Schurken. O nein! Auch die Gottesfürchtigen, die Sanftmütigen, die Gerechten – auch sie nahmen an meiner Verfolgung teil. Denn mein Peiniger trug viele Masken. Er hatte mich mit seinem Blendwerk gefangen, und seine Grausamkeit kannte keine Grenzen. Die Arbeiter, die Gläubigen, die Kinder, die Obdachlosen, die Säufer, selbst mein eigen Fleisch und Blut – sie alle waren nichts als Gliedmaßen des Verfolgers – Marionetten! Folterbank, Zuchtrute und Scheiterhaufen, Richtblock und Schwert, Pranger und Halseisen, Geißeln und Steine und Hexenstuhl, Peitsche und Rad, Tretmühle und Planke, Stiefel und Faust und alles andere, die ganze endlose Liste – all das lauerte im Verborgenen auf mich, welchen Weg auch immer ich wählen mochte.
Mehr als einmal wurde ich von den gottesfürchtigen Ukuliten aus der Stadt gejagt. Ein Vorfall, der sich ereignete, als ich etwa vierzehn war, verblüfft mich noch immer. Hört zu.
Ich saß auf der Treppe des Marmordenkmals und preßte den dunklen Saft aus einer Trompetenblüte, die ich dort gefunden hatte, und plötzlich sah ich eine Gruppe von sieben oder acht Ukuliten über den Platz kommen; einer von ihnen schwang einen Heurechen. Während sie auf mich zumarschierten, fragte ich mich nach der Ursache ihrer Erregung. Der aufgeregte Mob war nur noch wenige Meter entfernt, als mir langsam dämmerte, daß ich, Euchrid Eucrow, der Gegenstand ihrer Erbitterung war! So groß war meine Unschuld! Ich sprang auf, verhedderte mich in dem vergoldeten Seil, das mit Quasten verziert niedrig
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