Und die Eselin sah den Engel
ich die Ähnlichkeit – die blonden Locken, dieselbe schwermütige Haltung, der Eindruck mürrischer Hingabe, erweckt von den dreisten knabenhaften Hüften und dem mutwilligen Vorstehen eckiger Knochen, die eigenartige Neigung des Kopfs und das reichlich über beide Schultern fließende Gold. Immer wieder verlor ich mich für Stunden in den Hexenteichen ihrer beider Augen – ihrer Augen – ihrer Augen – ihrer verhexenden Teiche von Augen.
VIII
Beth fürchtete sich vor den anderen Kindern.
Da sie ihre ersten Jahre unter der erstickenden Zudringlichkeit hektischer Mütter zugebracht hatte, war sie mit anderen Kindern nie bekanntgeworden, und als Sardus Swift seine Tochter in der Schule von Ukulore Valley anmeldete, traten bis dahin verborgene Ängste bei dem Kind zutage. Beth war schlichtweg unfähig, sich in Gesellschaft von Kindern ihres Alters wohlzufühlen. Woran auch die Zeit nichts änderte; als die Wochen verstrichen und das erste Quartal zuende ging, legte Mr. Carl Cullen, der Rektor der Schule, Sardus Swift nahe, seine Tochter von der Schule zu nehmen und in die Obhut eines Privatlehrers zu geben.
Sardus rief – eine Geste, die über bloße Höflichkeit hinausging, da die Entscheidung nicht von ihm allein getroffen werden konnte – eine Handvoll der Vornehmsten unter den Gläubigen zusammen, um mit ihnen Beths Zukunft zu besprechen. Ihr Wohlergehen, so Sardus, sei »ebenso Angelegenheit der Gemeinde wie des Vaters«. Man kam zu dem Schluß, daß so, wie die Dinge standen, es eher schaden als nützen würde, wenn man das Kind auf der Schule ließe, und daß man einem Vetter von Wilma Eldridge, einem gewissen Mr. Henry Mendleson aus Davenport die Stelle des Privatlehrers antragen wolle.
Mit der Zeit empfand Beth für Mr. Henry Mendleson insgeheim Verachtung – und Angst vor dem täglichen Nahen seines glänzenden rosa Schädels, der allmorgendlich punkt acht Uhr nervös an ihrem Horizont auftauchte. Sie erbebte vor dem Geräusch seiner winzigen polierten Schuhe, wenn sie übers Linoleum quietschten und vor ihrer Tür haltmachten. Sie haßte das nun folgende kleine »Ähem« und das fette einknöchlige Anklopfen. Aber was Beths Blut vollends zum Kochen brachte, war seine Art, sie »Beeth« zu nennen, mit einem fast unhörbaren Zittern in der Stimme: »Guten Morgen, Be-ee-th.«
Doch trotz ihres Abscheus vor Mr. Mendleson dankte sie Gott, daß ihre Strafzeit in der Schule von Ukulore Valley beendet war. Nun brauchte sie nicht mehr die schreckliche Feindseligkeit zu spüren, der sie sich in den drei kalten Monaten, die sie dort Schülerin war, ausgesetzt gesehen hatte. Brauchte nicht mehr den Kindern, die sie haßten, unter die Augen zu treten. Brauchte nicht mehr ihre eifersüchtigen, abschätzigen Blicke zu fühlen, das höhnische Geflüster und Gelächter und die grausamen Spottverse über sich ergehen zu lassen.
So sehr hatte Beth sich vor den anderen Kindern gefürchtet, daß sie darauf verfallen war, die Schulpause auf der anderen Seite des Pfirsichhains hinter der Schule zu verbringen, wo sie dann in der windig wispernden Abgeschiedenheit des Obstgarten kauerte und ihr Pausenbrot aß. Ihr Blick dabei starr geradeaus gerichtet, ruhig und weit offen und irgendwie leer. In welche Welten sie dort inmitten der rosa und weißen Pfirsichblüten versunken war, können wir nur vermuten.
IX
Eines Nachmittags im Spätfrühjahr beendete Ma wieder einmal eine fünftägige Sauforgie auf die übliche Weise: sie scheuchte mich aus dem Haus, und gleich nach mir auch Pa.
Pa verdrückte sich um die Rückseite der Hütte, schmiß Mule ein paar Jutesäcke über und füllte die Satteltaschen mit den Werkzeugen seines Gewerbes – Seil, Jagdmesser, Schlangengreifer, Hühnerdraht-Maulkörbe, Hundestock – eine gegabelte Stange zum Einsacken potentiell gefährlicher Tiere – und so weiter. Dann zockelte er den Hang Richtung Maine Road runter. Er hielt sich nah am Zuckerrohrfeld, wo er die meisten Fallen aufgestellt hatte, baute neue auf und versah die zugeschnappten mit neuen Ködern, prüfte die noch unberührten und sackte alle gefangenen Tiere ein.
Ich folgte ihm, hielt mich sorgsam in Deckung, kauerte hinter Büscheln von Immergrün und spähte durch die blauen und weißen Blüten. Aber nach etwa zehn Minuten beschloß ich, solange es noch hell wäre, ein wenig auf der Maine Road zu spazieren.
Ich war kaum zwei oder drei Minuten gegangen, als ich ein seltsames Stöhnen vernahm. Es klang wie von einem
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