Und die Eselin sah den Engel
angezogen?«
Ich schmeckte Blut, denn meine Nase hatte angefangen. Ich spürte bereits die strafenden Stöcke und Steine des öffentlichen Tadels und wirbelte auf der Suche nach einem Ausweg im Kreis herum.
»Du kannst gehen, wenn du willst. Ich will dir nichts Böses.« Er trat vor und machte den Eingang des Bethauses frei.
»Bestimmt nicht, du Arsch«, dachte ich. »Bestimmt nicht, du Arsch.«
Ich rannte mit lautem Poltern über die nackten Dielen des Bethauses, fuchtelte und ruderte wild mit den Armen und stürmte auf den Eindringling zu. Ich versuchte zu schreien, und es muß wohl ziemlich bedrohlich ausgesehen haben, wie ich da auf ihn losgestürzt bin, denn nun wollte er mich offenbar doch noch packen, ließ es dann aber sein, als ich an ihm vorbei aus der Tür und die Treppe runter jagte. Und erst an der Abzweigung zur Hütte hörte ich auf zu rennen.
Ich betupfte meine Nase mit einem Taschentuch, mein Herz hämmerte, ich fror und war außer Atem, und der Schreck saß mir noch immer viel zu tief in den Gliedern, als daß ich die Bedeutung dieses Vorfalls hätte erkennen können. Das verfluchte Nasenbluten.
Ich lag im Schutz der Hecke auf dem Rücken. Es war Neumond, und ich sah ihn am Himmel zu tausend Dingen werden – ein Stück Zitronenschale – eine unheimliche Flosse, die drohend aus dem prachtvollen Teich des Sternenzeltes ragte – ein Stückchen vom Goldenen Vlies – das Werkzeug des Schnitters – ein losgelassener goldener Bogen – ein gläserner Pantoffel – eine aus Gold gegossene Lampe – eine Falte – ein vergoldetes Horn im Kleid einer Jungfrau – eine Salzlecke – eine Zunge – ein böser Stachel – ein Krippendach – eine Wiege, ein Kinderbett – eine Kelle – ein Zahn – all das da oben, über mir und außerhalb meiner Reichweite. Weit entfernt.
Ich wälzte mich auf den Bauch und beobachtete, was sich vor mir abspielte.
Beth schnallte ihre Lackschuhe auf und sang noch immer leise ein Lied:
»… O Acker voll Senf und Klee, überflogen
Von einem Vogel mit krummen Flügeln …«
Aber da zersägten die verdammten Zikaden mit ihrem schrillen Kreischen wieder die Nacht, und ich verstand kein Wort mehr. Also sah ich einfach zu, wie das Mädchen unter dem frischen, lockeren und sehr weißen Baumwollkleid seine Knie umfaßte, und hätten ihre glänzenden Schuhe nicht neben ihr gelegen, hätten ihre Zehen sich nicht im Staub gebogen und gestreckt und hin und her bewegt, dann hätte ich sie mit einer nicht so guten Arbeit verwechseln können, gemeißelt von derselben flinken Hand, die den Marmorengel geschaffen hatte – Sichel und blonde Ponyfransen, hell wie der Mond, der oben schwebte, und totenstill.
Beth aus Stein.
Ausgeburt der Sünde.
Ausgeburt der Sünde.
Seht Pa sitzen, die Stirn gefurcht in tiefer Konzentration, sicher, stählern und ruhig seine Hand. Seht auf dem Tisch vor ihm das Bauwerk ragen, ganz und gar aus Spielkarten errichtet. Seht ihr, wie langsam und mit welch quälender Geduld es in die Höhe wächst? Seht das Bild der Ruhe – Pa mit seinen stillen Karten. Stockwerk um Stockwerk.
Und dennoch hatte ich keine dreißig Minuten zuvor durch ein Guckloch in der Außenwand beobachtet, wie Pa, breitbeinig und mit einem alten knorrigen Spazierstock bewaffnet, wie ein Berserker auf Mule einprügelte. Zack! Zack! Zack! Seht die feuchten Striemen, die sich blasig über Rücken und Hinterteil des armen Wesens ziehen! Seht, wie Pa sein Tier so grausam schlägt, bis er buchstäblich zu schwach ist, den Stock zum nächsten Schlag zu heben. Hört Mules kranken Schrei. Iii-aah! Iii-aah! Iii-aah! Halb in die Knie gesunken.
Seht ihr, wie Pa, noch während Mule weiterschreit, die Hemdsärmel hochkrempelt, um sich an das erste Stockwerk seines Kartenhauses zu machen?
Seht, wie Mule im vergeblichen Trachten, die blutigen Platzwunden an seinem Hinterteil zu lecken, in seinem Pferch einen verzweifelten Kreis aufwühlt. Seht Mule, angesteckt von Pas Krankheit. Und Pa – verschwunden sein Wahnsinn! Verraucht! Ruhig arbeitet er. Schmerzlos. Immer aufwärts. Seht ihr’s?
Als ich, die Schere im Gürtel, die Taschenlampe in der Hand, das Bethaus der Ukuliten betrat, war es kurz nach Mitternacht. Und fast ein Uhr war es, als ich, die große Leinwand zusammengerollt unterm Arm, wieder ging. Am nächsten Tag hängte ich es in meiner Grotte auf – eine Art Galionsfigur, die über meine schummrige Zuflucht wachte. Mit dem Kindheitsbildnis der Hure in der Hand, bestaunte
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