Und die Eselin sah den Engel
zitterte, das voll Reue war über die Ungeheuerlichkeit seiner Tat.
»Schuld?« sagte Pa eines Abends mit abartigem Lachen. »Ob ich wegen meiner Tat Schuldgefühle habe? Hoho! Das ist der tollste Witz, den ich je gehört hab! Hatte Georg Schuldgefühle, nachdem er den Drachen getötet hatte?! Hat David Reue empfunden, als er Goliath erschlug?! O nein! Und König Jehu – hat er bereut, daß er Isebel zertrampeln und den Hunden zum Fraß vorwerfen ließ?! Verdammt noch mal, das hat er nicht! Und mir geht’s auch nicht anders, verdammich!«
Eine Schmeißfliege krabbelte über den Tisch, und Pa fing sie mit flinkem Griff.
Das Insekt lärmte in seiner Faust, als er diese an sein gesundes Ohr hob.
»Also diese versoffene Höllenbrut war bestimmt scheußlicher als ein ganzes Rudel Drachen und eine verdammte Portion ordinärer als jedes spießige Monster und doppelt so häßlich dazu. Und im übrigen – un’ das schwör ich bei meinen Karten – könnte man sämtliche Kloaken des Hurentums absuchen un’ würde doch niemals eine verkommenere und miesere Drecksau rausfischen als die Giftspritze, die dich geboren hat.«
Euchrid schluckte.
Die Schmeißfliege hatte ihr wütendes Antoben eingestellt und lag fast still in Pas geschlossener Faust, summte nur manchmal kurz auf, doch immer seltener und kraftloser.
»Sie war die echte Hure von Babylon – und jetzt ist sie nicht mehr …« sagte Pa, öffnete die Hand und schnipste die Fliegenleiche aus der Tür. »Und jetzt ist sie nicht mehr«, wiederholte er leise.
Und Euchrid saß, und Euchrid sah, und Euchrid sagte kein Wort.
Doch so schweigsam er auch war, wünschte Euchrid der Stumme mehr als je zuvor, daß seine Zunge lebendig würde und die Fesseln der Millionen unausgesprochener Geheimnisse sprengen könnte, die in den Verliesen seines Herzens eingekerkert waren. Er flehte zu Gott in stillem Gebet, Er möge Seinem demütigen Diener nur für einen Abend die Gabe der Sprache verleihen. Oder nur für eine Stunde. Aber der Himmel gewährte an diesem Tag keine Wunder.
So groß war sein Bedürfnis, etwas zu sagen, daß er für einen Augenblick seinen Glauben vergaß und die Vernünftigkeit von Gottes »größerem Plan« in Frage stellte. Er dachte an die sterbende Schmeißfliege, und daß selbst die niedrigsten und ekelhaftesten Geschöpfe der seelenlosen Schöpfung, die Scheißefresser, ihren belanglosen Tod herausposaunen konnten, während einem auserwählten Soldaten des Herrn, einem irdischen Anhängsel Gottes, Seiner Geißel und Zuchtrute, die Gabe des Sprechens versagt war.
Die giftigen Reden seines Vaters nur mehr ein fernes Gesumm, fragte sich Euchrid, ob seine Stummheit etwa eine notwendige Vorkehrung sei, die ihn erst befähigte, Gottes Wort zu empfangen. Er dachte an den Himmel und fragte sich, ob er auch dort noch stumm sein würde. Er schauderte. Und fragte sich, ob Gott seine stummen Bitten und Gebete überhaupt hörte, und wenn ja, wie mochte dann seine Stimme klingen?
Murmelte er wie Pa? Oder knurrte und bellte er wie Ma? fragte er sich, als schläfriges Dunkel über ihm zusammenschlug.
Er träumte, er sei ein Geist und schwebe in Zeitlupe durch die dunklen gewundenen Gassen des Frevels. Er sah den Mond, mit Blut und Milch übergossen. Er spürte die Hitze auf ihm lasten, heiß wie ein Bordell. Er sah geschlagene Huren auf den Strich gehen und in Hauseingängen grinsende Zuhälter. Säufer mit Flaschen im Arm schlichen umher wie beinlose Hunde, Gassenkinder zündeten schlafende Penner an. Großkotze in Autos wedelten mit Geldbündeln und fuhren durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht da. Die Straßen wurden immer holpriger und krummer, er ließ sich von den Rissen leiten. Er kam an einem offenen Fenster vorbei und sah dort ein kleines Mädchen schlafen. Ihr Gesicht war dem Fenster zugewandt. Euchrid griff hinein, packte die kleine Nackte mit der linken Hand und begann sie laut lachend zu würgen, bis sie erwachte. Sein Opfer wehrte sich, krümmte und streckte sich und schlug an sein Bettchen, und verlor dann das Bewußtsein. Euchrid nahm ihren Kopf und drückte ihn kräftig auf das bestickte Satinkissen, und dann stach er ihr mit einer schlammverschmierten Schere immer wieder in den Hals, bis eine alte Hure neben ihm sagte: »O gesegnet seist du, denn du hast die böse Königin erschlagen! Ihr Blut ist vergossen. Schwestern im Hurentum! Wir sind frei! Befreit aus dem Tal der Schatten von Beth Beth Beth Beth Beth …«
Dem Träumer rutschten die
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