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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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nuckeln mußte.
    Ich konnte Pas Hände beben sehen, wenn sie sprach. Das Kartenhaus vor ihm zitterte.
    Ma beklagte ihr Leben, kippte die ganze Büchse Würmer auf Pas Teller, als ob sie ohne ihn noch immer dieses kleine Blümchen auf dem Bild sein würde. Sie hielt ihm vor, was für ein fauler alter Arsch er sei und daß er den Verstand verliere.
    Das Kartenhaus neigte sich, hing einen Augenblick lang in der Luft, stürzte dann zusammen, und das zerbrechliche Bauwerk von Pas Verfassung tat es ihm nach.
    Während sein Weib noch einen ausgiebigen Schluck aus der Flasche nahm, sprang Pa von seinem Stuhl, warf sich mit aller Wucht, die er aufbringen konnte, durchs Zimmer und rammte seinen Körper in ihren, so daß sie mit dem Gesicht an die Wand knallte. Glas splitterte, als der Boden der Steinflasche, deren Hals noch in ihrem Mund stak, die Verglasung des Hochzeitsphotos zerschlug, begleitet von einem seltsam abartigen Gluckern. Die Faust voll Haare, riß Pa ihren Kopf zurück und schmetterte ihr Gesicht von neuem an die Wand. Die Flasche drang noch tiefer ein, und selbst von meinem Versteck aus konnte ich hören, wie ihre Kiefer mit einem deutlichen »kra-a-ack« auseinanderbrachen, so daß die Flasche ihr beim dritten Mal in die Kehle fuhr und ihr Grinsen von einem Ohr zum anderen aufplatzen ließ.
    Pa schleuderte sie herum und ließ sie an der Wand herunterrutschen, und dann saß sie mit ausgestreckten Beinen und hängenden Armen auf dem Boden, ihr Kopf nach oben geknickt, wie der einer fetten grinsenden Marionette, ihr Hals hochgereckt wie bei einer Rohrkröte.
    Pa nahm zwei Ziegelsteine, die auf dem alten Kanonenofen lagen, riß, in jeder Hand einen, die Arme auseinander – und schlug sie dann zusammen wie ein Paar Becken. Er traf sein Weib auf beiden Ohren und zertrümmerte die Flasche in ihrem Rachen.
    Blut.
    Ihr Kopf sank nach vorn, und der zerborstene Hals der Flasche bohrte sich aus ihrem Nacken, bildete einen tadellosen kleinen Schlot von der Größe meines Daumens, der wie ein Abflußrohr aus der fettigen Haarschwarte ragte und dampfendes Blut und Kartoffelschalenschnaps ergoß.
    Pa ließ die Steine aus den Händen fallen. Mit dumpfem feuchtem Geräusch schlugen sie auf den blutbesudelten Boden. Er atmete flach und heftig. Von seinen Lippen kam in hohen Tönen und seltsam kurzen Stößen ein blubberndes Stöhnen. In der rechten Faust hielt er ein Knäuel grauer Haare. Da stand er, tat nichts und sagte nichts, bis seine Stiefel als zwei Inseln in einem Meer von Dampf und Scharlach schwammen.
    Ich schob den Stöpsel ins Loch zurück, glitt von meinem Bett und ging ins Wohnzimmer. Ich watete zu meinem Vater und stellte mich neben ihn.
    Langsam senkte Pa den Kopf, bis seine Augen schließlich in meine sahen. Er bibberte wie ein junger Hund, seine Augen blickten klar und lebendig.
    »Hol das Laken von deim Bett. Und bring ‘n starkes Seil mit.«
    Ich kam mit meinem schmutzigen Bettzeug, gab ihm das Bündel und ging in mein Zimmer zurück, um meine Sachen zu durchsuchen, nur ein Wort in meinem Kopf: »Seil Seil Seil Seil …«
    Die enteilende Sonne sammelte ihre Strahlenspeere ein und zog sich den feinen schwarzen Schleier der Nacht über die Stirn. Ezra und Euchrid stapften im Talkumlicht der Dämmerung über das Bruchland. Jeder hatte ein primitives kiefernhölzernes Traggestell auf den Schultern; daran befestigt war je ein circa fünf Meter langes dickes Seil; und die Enden der beiden Seile waren an den Seiten eines kreisförmigen Stücks Wellblech von beträchtlichem Durchmesser festgemacht. Diese Palette diente zum Transport einer riesenhaften gespenstischen Leiche, die in ein schlammig weißes Tuch gehüllt und mit bunten Elektrokabeln verschnürt war. Die beiden Gestalten stemmten sich gegen die schwerfällige Last, die sie hinter sich herschleiften; knotige Spazierstöcke in beiden Fäusten, bogen sie die Körper nach vorn, und ihre Gesichter waren seltsam leer, zeigten weder Schmerz noch Anstrengung. Beide trugen ihre Last mit Ernst, als ließe sich aus zeremoniellen Äußerlichkeiten wenigstens ein bißchen Würde gewinnen – daher die finster grauen Kapuzen, die düsteren Masken. Daher die heulend angespannten Muskeln.
    Das Bruchland war in Gold gegossen, still und ruhig lag das dickflüssige Wasser. Langsam schritt der Leichenzug aus Vater und Sohn dem Wasser zu, von dem die schwarze Hölleninsel umschlossen war; zwei schiefe Pfähle, geschirrt vor eine blutige Fracht – jenen Berg toten Fleischs,

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