Und die Eselin sah den Engel
hier nun erteilte mir der Herr, der mich aus dem Mutterleib gerufen hat, mit einer Stimme, die schöner war als ich ertragen konnte, schlichte und klare Anweisungen.
»Euchrid«, begann er, »Euchrid …«
Und ich saß und lauschte seinen Worten in stummem Staunen.
»Euchrid …«, begann er.
XIV
Beth hockte auf der Kante ihres Betts. Sie trug eine baumwollene Unterhose und ein weißes Söckchen. Ein Knie unters Kinn hochgezogen, wand sie einen winzigen Fuß in die andere Socke, wobei sie ein leises Grunzen ausstieß. Sie ließ das strahlend junge Bein sinken und neben dem anderen von der Bettkante baumeln, und sah dann durch schlafverquollene Lider Sardus an, der, makellos in seinem schwarzen Sonntagsanzug und dem gebürsteten schwarzen Bart, vor ihr stand. Er fächelte sich mit seinem Hut das Gesicht und lächelte auf Beth hernieder.
»Es ist Sonntag«, sagte Beth ruhig aber fest, als enthülle sie die Antwort auf eine langerwartete Frage.
»Richtig«, sagte Sardus, »und du mußt dich für Mrs. Shelley fertig machen.«
Beths Stirn furchte sich unter einem Nest goldener Locken.
»Vater, hat Gott einen komischen Atem?«
Sardus setzte sich neben sie. Er umfaßte ihre nackten Schultern mit seinen großen Männerhänden und drehte sie sanft zu sich herum.
»Was ist geschehen, Kind?« Seine dunklen Augen durchbohrten ihre.
»Ich glaube, letzte Nacht habe ich Gott gehört, an meinem Fenster. Irgendwie atmete Er, und beim Atmen hat es gepfiffen. Und Er … ich meine … Sein Schatten, der war auch da. Ich hab ihn ge-gesehen, er hat gewartet, und pfeifend geatmet … da am Fenster … u-u-und dann ist er weggeschwebt. Ich bin zum Fenster, versuchte furchtlos zu sein, aber Gott war weg …«
»Wieso meinst du, daß das Gott war?« fragte Sardus, ohne ein wütendes Beben in seiner Stimme unterdrücken zu können, denn er wußte genau, wieso.
»Na ja, weil Gott mich doch besuchen kommt. Das hat Mrs. Baxter gesagt, und Miss Sarah Blume auch. Und ich weiß, daß ich keine Angst zu haben brauche. Habe ich Gott verjagt? Wird er böse sein und uns wieder bestrafen?«
Sardus schlang seine langen dünnen Arme um seine Tochter und drückte ihren plötzlich sehr zerbrechlichen Körper an seinen.
»Nein, Kind, Gott ist das nicht gewesen«, sagte Sardus.
XV
Ab und zu ging ich auf den Friedhof und trieb mich ein Weilchen in den Feldern herum, auch wenn das wenig Sinn hatte, da nach der Ernte neue Frucht angebaut worden war, und die war noch zu niedrig, um ungesehen darin herumzuschleichen. Ich begann die Hügel zu erkunden, meilenweit mußte ich gehen, um dorthin zu gelangen, doch oben in den felsigen Partien entdeckte ich Bauten von wilden Hunden und stieg auf hohe Bäume. Auch machte ich böse Schlangen tot, die schlafend auf den heißen Steinen buken; ich packte sie am Schwanz, schleuderte sie um meinen Kopf und ließ sie wie eine Peitsche knallen, oder schlug sie einfach an einen Felsen oder Baumstamm. Wenn ich ihre Kadaver an einen Baum gehängt hatte, fühlte ich mich stark – wie eine Maschine. Zu anderen Zeiten saß ich einfach da oben herum und tat gar nichts, sah einfach nur ins Tal hinunter und dachte nach. Ein paarmal schlief ich sogar dort draußen unter den Sternen. Aber die meiste Zeit verbrachte ich in meinem halbwegs sicheren Zimmer.
Gelegentlich zog ich den Korken aus meinem Guckloch und belauschte Ma und Pa, wenn sie einen Zank hatten, und oft fragte ich mich dabei, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis Pa das Weibsstück endlich umhauen und in Stücke reißen würde. Ich dachte an die Schlangen in der Sonne, und wie verdammt einfach das wäre.
Es konnte nicht mehr lange dauern. Das spürte ich.
Und hatte recht.
Herbst. September 1953. Ich spähte hinein.
Ich konnte sie beide sehen. Pa saß am Tisch, ein aufgewühltes Nervenbündel. Er baute ein Kartenhaus. Schon türmte es sich so hoch, daß ich sein Gesicht nur sehen konnte, wenn er sich zur Seite bog, um zu prüfen, ob die Seiten der Konstruktion auch gerade waren. Dann konnte ich seine Augen sehen, böse verkniffen und gelb vor Galle.
Ma stand, mit dem Rücken zu Pa, am anderen Ende des Zimmers, nahm tiefe Züge aus einer steinernen Fuselflasche und besah eingehend ein Photo von sich selbst, das gerahmt an der Wohnzimmerwand hing.
Sie erging sich in kicherndem Gefasel, was für ein kleines Blümchen sie gewesen sei, bevor man sie gepflückt und dem Welken und Sterben überlassen habe, und hielt nur den Mund, wenn sie an der Flasche
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