Und die Eselin sah den Engel
der über den Modder hinschlurrte, den jetzt die nutzlosen Goldfinger der sterbenden Sonne harkten.
Als sie das unsichere Ufer erreichten, legten Ezra und Euchrid die Traggestelle ab und zogen, ohne auch nur eine Sekunde auszuruhen, die Seile ein, zerrten die kuhgroße Leiche die letzten paar Meter zu sich heran, bis sie unmittelbar am Rand des Ufers lag. Und ohne ein Wort, einen Blick oder ein Nicken, ohne Gebet oder Lied, ohne ein wenig Erde zu streuen, wälzten der alte Mann und der Junge die gewaltige bleiche Schwarte mit einem kräftigen Fußstoß von der Palette ins Wasser.
Das schlackige Wasser spritzte und schwappte nicht auf, sondern öffnete sich einfach, um sie aufzunehmen; und weg war sie. Fürs erste war sie verschwunden. Vater und Sohn standen schweigend am Ufer und sahen auf das unergründliche Wasser, und plötzlich kam das verhüllte Aas mit obszönem Blubben wieder an die Oberfläche und drehte sich dort auf die Seite.
Und dann erst erlag es langsam und hilflos, und nicht ohne ein paar nachhelfende Stockstöße, dem Zerren des gierigen Sumpfs. In ihre blutige Brautausstattung gewickelt, fuhr die mächtige tote Masse dem dunklen Rund des Gestrüpps entgegen, als zöge dessen böses Zentrum sie an Tauen zu sich heran. Die zwei finsteren Gestalten am Ufer, nur mehr Schatten jetzt, sahen schelmische Krähen von oben herabstürzen und Sumpfratten herbeischwimmen, die diesen neuen, träge dahintreibenden Boden in Beschlag nehmen wollten, und die große schwimmende Insel verging in der doppelten Dunkelheit von Sumpf und Nacht.
XVI
Merkwürdige Tage folgten dem Tod und der Beseitigung von Ma Crowley.
Der alte Mann schien mit jener schwerelosen Euphorie in der Hütte herumzuschweben, wie man sie empfindet, nachdem man am Ende einer langen und anstrengenden Reise eine bedrückende Last abgelegt hat. Nicht, daß er lächelte oder sang oder Tänze aufführte; eher schien Pa von einem stillen Vergnügen erfüllt, von Zufriedenheit und tiefer Dankbarkeit für die Abwesenheit seiner Gattin.
Noch merkwürdiger war, daß nach Mas Tod zwischen Euchrid und seinem Vater sich ein inniges Verhältnis entwickelte, ein Band, das sie aneinanderkettete wie siamesische Zwillinge. Ma war ein unermeßliches und verderbenbringendes Meer gewesen, das den Vater von seinem Sohn getrennt hatte, und Pa hatte in einem ungeheuren Akt der Katharsis die Wasser geteilt und den Sohn in die Arme geschlossen.
Aber das Band, das sie zusammenschloß, war aus vielfältigen Fäden gewirkt, was freilich ihre seltsame Freundschaft nur um so mehr bekräftigte. Euchrid wurde die perfekte Ergänzung für Pa, und die unsichtbaren Bande zwischen einem Vater und seinem Sohn, einem Mörder und seinem Komplizen, einem Beichtenden und dem Priester, einem Erzähler und seinem entzückten Zuhörer – all das verband die beiden zu einer unerschütterlichen und seltsam anhänglichen Einheit.
Jeden Abend erging sich Pa am Wohnzimmertisch in langen Erinnerungen und erzählte seinem gebannt lauschenden Einmannpublikum von den gesetzlosen Zeiten seiner Jugend, den wüsten Eskapaden seiner zerrütteten Verwandtschaft, der unseligen Flucht ins Tal und von der Flasche Gebirgsfusel, die ihn ein Ohr gekostet hatte. An manchen Abenden nahmen Pas hingebrummte Erzählungen einen ausgesprochenen Beichtton an, und während Euchrid Haschee und gekochten Kohl in sich hineinlöffelte, hörte er aufmerksam zu, wie der verrückte alte Mann sich so manches von der Seele redete. Wenn er zuweilen auf Ma zu sprechen kam, geißelte er sie mit seinen Worten noch im Grab. Doch trotz allem Nachdruck, mit dem Pa immer wieder über »die Königin der Schlampen« oder »die versoffene Sau« herzog, klang dies irgendwie falsch – wie eine gesprungene Glocke, und je länger Euchrid den Tiraden seines Vaters zuhörte, desto verletzlicher schien Pa zu werden, als wären da noch andere Gefühle mit im Spiel, die vielleicht nicht einmal der alte Mann selbst sich eingestehen konnte und die er daher unterdrückte und instinktiv in Verbitterung und Grausamkeit ertränkte. Euchrid erkannte mit zunehmender Bestürzung, daß die Schimpfreden seines Vaters in Wahrheit sorgfältig angelegte Masken waren, die er wie einen festen Panzer über ein schäbiges Gerippe aus Trauer und Schuldgefühlen und immer heftiger empfundener Einsamkeit gezogen hatte. So schwer das auch zu akzeptieren war, sah Euchrid sich zu dem Schluß gezwungen, daß hinter den großen Worten des Alten ein bedrücktes Herz
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