Und die Eselin sah den Engel
Bett gegangen. Am nächsten Morgen jedoch tauchte ein ganz anderer Vater auf.
Finster und eingebuckelt war er, als hätte ihm während der Nacht ein drückender Inkubus oder Sukkubus oder was auch immer auf der Brust gehockt und sein glückliches Herz ausgesaugt und dafür mit Furcht und Verzweiflung vollgepumpt. Es war, als wäre Pa bewußt gewesen, daß er seine letzte Meile ging. Apathisch wie ein kranker Hund schlich er auf dem Hof herum. Er schleifte seinen Sessel auf die Veranda und starrte stundenlang über das Bruchland in den Sumpf.
Er sagte nichts, wie geknebelt von irgendeiner furchtbar verhärmten Niedergeschlagenheit, die ihn so sehr lähmte, daß sie jeglichem Gedanken Trotz zu bieten schien … sein Herz war in einer unergründlichen Grube schwarzen Grams begraben. Es gab kein »Weil«, denn es gab kein »Warum«. Und doch wunderte ich mich. Immer noch. Und wundere mich noch jetzt.
Wie oft habe ich in Gedanken den Abend vor Pas rätselhafter Veränderung noch einmal durchgespielt. Jenen letzten Abend, bevor der Geist der Zufriedenheit unsere Hütte verließ. Ich hatte Pa geholfen, Mas Habseligkeiten zusammenzupacken – nicht viel mehr als ein paar Armvoll ranziger Lumpen –, wir schleppten die stinkenden Klamotten hinter die Hütte und stopften sie in eins der fünf 180-Liter-Fässer, die ich von der Ruhmes-Ebene dorthin gewälzt hatte – von jenem verbrannten Kirchengelände, das jetzt als inoffizieller Abladeplatz für den Müll des Tales diente, eine, möchte ich mal sagen, richtiggehende Goldgrube. Pa warf die Sachen seiner Frau in das Ölfaß, bis hin zum letzten häßlichen Erinnerungsstück. Darunter befanden sich auch einige wenige persönliche Besitztümer aus ihrer Jugend, verwahrt in einer Hutschachtel, die mit einem jetzt morschen Satinband zugebunden war. Unter das Band war eine kleine Karte mit Goldrand geschoben, auf der in akkurater Mädchenschrift geschrieben stand:
Diese Schachtel gehört Jane Crowley
Finger weg
1910
Pa las es laut vor, und schmiß die Schachtel dann mit gleichgültigem Grunzen ungeöffnet zu dem anderen Müll ins Faß. Bevor ich eine Chance hatte, die mysteriöse Hutschachtel und ihre Geheimnisse zu retten, hatte Pa über das Ganze einen Zweiliter-Kanister Alkohol ausgeschüttet und an der Motorhaube des Chevys ein Streichholz angerissen. Er schnipste das Streichholz ins Faß, und ich sah meine Chancen, je den Inhalt dieser wundersamen Hutschachtel untersuchen zu können – smaragdgrün war sie, mit goldenen Streifen, und auf den Deckel war eine goldene Krone geprägt, die in einem Nest aus drei gekreuzten lila Federn saß, und darüber stand auf einem zu beiden Seiten von zwei schrägen Speeren gehaltenen Banner zu lesen
Das Haus der Drei Federn
und am unteren Rand befand sich in prächtiger halbfetter Fraktur der Aufdruck
Vorzügliche Hutmacher seit über 50 Jahren
– in Flammen aufgehen.
Und dann war Pa verschwunden, und ich stand da, spürte, wie die Wärme des Krematoriums meine Wangen rötete, und atmete den betäubenden Qualm ein, ohne mir all dessen so richtig bewußt zu sein, so hypnotisierten mich die tanzenden Flammen, die über den Rand des Fasses leckten, ganz gelb und weiß gegen den rußschwarzen Rauch, der da oben rauskotzte und vom Wind der Spätsommernacht hin und her geworfen wurde.
Und dann war Pa wieder zurück; er hatte seine Bibel geholt, und wir setzten uns auf die Motorhaube des Wagens, ja, Vater und Sohn Seite an Seite, und eine Minute lang blieben wir, gebannt von dem Feuer, still sitzen. Dann schlug Pa die Psalmen auf.
»Ich möchte, daß du dich konzentrierst. Bemüh dich, den Sinn zu begreifen. Kannst du das? Du sollst mit deinen beiden Ohren zuhören und versuchen, das zu begreifen«, sagte Pa schließlich, knetete an seinem Ohrstumpf herum und spie ins Feuer.
Ich nickte, starrte aber unverwandt weiter in die Flammen, und Pa hielt das Buch ein wenig schräg, dem Licht zu, damit er die dichte schwarze Schrift lesen konnte. Aufmerksam lauschte ich seinem ernsten und eindringlichen Vortrag, obwohl ich diesen Psalm auswendig konnte und gleich bei den ersten Worten erkannte. Psalm 58. Wie oft hatte Pa den Psalm 58 vorgelesen, wenn ich wie ein kleiner Hund mit flachem Atem in dem Gurkenfaß auf der Lauer lag und ihm zuhörte.
PSALM 58
1 Ihr Mächtigen, sprecht ihr in Wahrheit Recht?
Ihr Menschensöhne, richtet ihr nach Gerechtigkeit?
Ich gab keine Antwort, und ein dicker Rauchschwall wälzte für
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