Und die Goetter schweigen
Schwestern also nur sich selbst als Alibi. Die erste Frau, die sie angerufen haben, ist in den Fünfzigern, allein stehend, arbeitet auch in der Schlachterei. Hier kommt also kein eifersüchtiger Ehemann ins Bild. Die zweite Frau hat einen Mann, der Handelsvertreter ist. Sie leben in einem sehr offenen Verhältnis und gönnen sich gegenseitig kleine Ausschweifungen, so jedenfalls die Frau. Ich sehe auch hier keinen eifersüchtigen Ehemann. Es spricht aber nichts dagegen, dass die Frauen selbst ein Hühnchen mit Dick zu rupfen hatten. Allerdings hat keine von ihnen ihn im letzten Monat gesehen. Das interessanteste Gespräch ist das dritte. Es wurde mit einer Familie Berggren geführt. Ich habe die ganze Familie hergebeten. Der Ehemann ist, vorsichtig ausgedrückt, unfreundlich. Die Ehefrau, Gunilla, ist etwas hysterisch. Sie haben eine erwachsene Tochter, Anneli, die zu Hause wohnt. Sie geht auf die kommunale Erwachsenenschule und wohnt vorübergehend bei den Eltern, nachdem sie sich von ihrem Partner getrennt hat.« Ek lehnte sich im Stuhl zurück und gab damit zu verstehen, dass er mit seinen Ausführungen am Ende war. »Wir brauchen die Hilfe der Öffentlichkeit, wir müssen eine Hotline einrichten.« Hartman blickte zu Arvidsson. Der Rothaarige streckte sich und nickte. Åke Ragnarsson-Sturm, der während des gesamten Gesprächs auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war und die Finger auf der Jagd nach Feuerzeug und Zigaretten von Tasche zu Tasche wandern ließ, eilte nach einem hastigen Blick auf seine Uhr zur Tür hinaus. Halblaut wiederholte er für sich selbst seine auswendig gelernten Sätze. Das Murmeln erstarb im Flur und mischte sich mit den anderen Hintergrundgeräuschen so, dass es nicht mehr zu unterscheiden war. Die rastlose Stimmung verschwand mit ihrem Urheber. In Hartmans Gesicht konnte man den flüchtigen Schatten eines Lächelns sehen. »Dick Wallström hatte am Abend des 21. Dezember Besuch, jemand war zum Essen da. Fingerabdrücke auf den Gläsern sind gesichert. Es war für zwei Personen gedeckt, eine romantische Mahlzeit mit Rosen auf dem Tisch, Kerzenständern und Wein. Ein Abendessen, das mit größter Wahrscheinlichkeit seinen Höhepunkt in Dick Wallströms wogendem Wasserbett fand. Erika Lund hat dort ein langes dunkles Haar gefunden, das kaum auf Dick Wallströms Kopf gewachsen sein kann.« Hartman hob ein Foto des Verstorbenen hoch, er lächelte, war braun wie direkt aus dem Solarium mit auffallenden weißen Rändern um die Augen und hatte die aschblonden Haare zu einer Art modernem Hahnenkamm gekämmt. Das weiße Oberhemd war aufgeknöpft, und um den Hals trug er ein blau kariertes Tuch. Während das Foto herumgereicht wurde, schenkte Hartman Kaffee nach. Maria dachte darüber nach, dass der Mann auf dem Bild kaum so aussah, als würde er auf die sechzig zugehen. Es war nicht schwer zu begreifen, warum er bei Frauen so viel Glück hatte. Er war gut gebaut, hatte lebhafte Augen, sah gepflegt, aber nicht langweilig aus, keine grauen Schläfen oder überflüssige Kilos. Eine Narbe dicht unter dem Auge auf der rechten Wange verunstaltete ihn nicht. Sie unterstrich sogar noch sein männliches Aussehen, stellte Maria fest. »Auf dem Badezimmerspiegel standen mit Lippenstift die Buchstaben AS geschrieben«, fuhr Hartman fort. »Das wusste ich doch, das wusste ich doch!«, jubelte Ek. »Man kann nicht beliebig viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten.«
»Da spricht jemand aus Erfahrung«, flüsterte Arvidsson hörbar. Ek tat so, als habe er das nicht gehört. »Erika ist dabei, den Film zu entwickeln, der sich in Dick Wallströms Kamera befand. Wir haben mehrere Alben gefunden, die wenig mit den üblichen Familienalben gemein haben, ebenso mehrere nicht jugendfreie Spielsachen.« Hartman lächelte verkniffen. »Wenn der Mann normal ist, kann ich selbst mich wohl als Eunuchen bezeichnen.« Arvidsson blickte Maria verstohlen an und starrte dann unter den Tisch.
Anneli Berggren war eine hübsche junge Frau, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Die grauen Augen waren groß und wirkten ängstlich, das lange dunkle Haar war von einer perlmuttbesetzten Spange zu einem Pferdeschwanz zusammengehalten. Den Polyestermantel hatte sie aufgeknöpft, aber fest um den Körper gewickelt, als würde sie frieren. Anneli Berggren setzte sich auf die äußerste Kante des Stuhls, den Maria ihr anbot. Unsicher sah sie sich im Zimmer um. Es war offensichtlich, dass die Frau geweint hatte. »Wo sind Sie am Abend des
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